[1535]
Joachim Vadian an
Bullinger
St. Gallen,
15. Juni 1541
Autograph: Zürich StA, E II 350, 427-430 (Siegel)Will ihm die neuesten Nachrichten nicht vorenthalten. Die Truppen [König] Ferdinands [I.]
versuchen, Buda zu erobern, und treffen dabei auf harte Gegenwehr; den Schaden, den sie den
Befestigungsanlagen tagsüber zuzufügen imstande sind, können die Türken in der Nacht jeweils
wieder reparieren. Zu Besorgnis gibt ein großes türkisches Entsatzheer Anlass, das den
Truppen Ferdinands überlegen ist; es wird erwartet, dass sich die Belagerer aus der Ebene ins
Hügelland zurückziehen werden; die Gerüchte von der immensen Truppenstärke der Türken
könnten eine Kriegslist sein, sicher ist aber, dass das türkische Heer - wie aus Venedig
zuverlässig berichtet wird - ungefähr 200'000 Soldaten umfasst. Viele befürchten, dass die
Türken sich nach der Eroberung Ungarns nach Österreich und gegen dessen Hauptstadt Wien
wenden könnten, es sei denn, der Kaiser einige sich mit den in Regensburg versammelten
Ständen über die Türkenhilfe, was aber angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse schwierig
zu bewerkstelligen sein wird. Das Regensburger Religionsgespräch ist zu Ende gegangen,
ohne dass man der Gegenseite Zugeständnisse abgerungen hat; dies wird nicht aufgrund
menschlicher Fähigkeiten erreicht, sondern durch Gott in Güte gewährt. Besonders abweisend
gebärdete sich die Gegenseite bei der Behandlung der Eucharistie, jedermann weiß aber, dass
die Lehre und Gebräuche, an denen die Päpstlichen festhalten wollen, sich als menschliche
Lehren und Traditionen in die Kirche eingeschlichen haben; sie setzen die Autorität der Konzilien
derjenigen der Schrift gleich, achten damit Menschliches nicht weniger als Göttliches
und verfallen dadurch falschen Ansichten wie der Transsubstantiationslehre und Praktiken wie
der Elevation der Hostie. Gott möge die Menschen zu rechtem Verständnis leiten. Die Welt
durchschaut, was die Päpstlichen wollen; sie sollten endlich zulassen, dass die Kirche nach
apostolischem Vorbild erneuert wird. Nun bleibt des Kaisers Urteil zu erwarten. In Thüringen
und Sachsen treiben Brandstifter erneut ihr Unwesen; ihr Anstifter [Herzog Heinrich von
Braunschweig] ist auch dem Kaiser schon bekannt. Nicht nur mit Feuer wüten einige gegen
uns, sondern auch mit Zauberei. [Philipp] Melanchthon hat seinen Traum von der Hyäne in
elegante Verse gefasst [MO X 576, Nr. 187; MO XX 685-687], die Vadian Bullinger bei
Bedarf gerne zukommen lässt. Über Christoph von Landenberg wurde [vom Kammergericht zu
Speyer] wegen seiner Fehde mit Rottweil die Acht verhängt. Grüße, auch an [Hans Rudolf]
Lavater.
[Gedruckt: Vadian BW VI 37-39, Nr. 1178.]