Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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BULLINGER AN
MICHAEL [WÜST]
Kappel,
16. Dezember 1525

Autographe Abschrift: Zürich ZB, Msc A 82, 90r. 1/2 fol. S., sehr gut erhalten Ungedruckt

Übersendet eine Abschrift des Schreibens über das Abendmahl vom 10. December 1525.

Michaeli a suo gratiam et pacem.

Mittimus tibi, Michael dilecte, epistolam nostram, quae de eucharistia ante aliquot dies excidit venus quam scripta sit 2 , si fortassis per eam tribuat tibi oculos deus, ut cognita missandi impietate cogites, quo pacto possis propediem immutare mores, studia, questum et vitam tuam, esseque adhuc in tam spatioso terrarum orbe reliquum, unde vivere possis, meliore nimirum conscientia, quam in impiissimo questu et eidololatria. Est enim etiamdum b sana mens tibi in corpore sano 3. Nihil habes post infidelitatem, quo te tueri possis; satis superque satis offendisti dominum. Revertere ergo ad eum, qui non vult «mortem peccatoris, sed magis ut convertatur et vivat» [Ez 33,11], ac nostram pro te sollicitudinem boni consule. Nam ferre non potui, ut a te separarer religione, qui non modo sanguine, verum a cunis tibi per omnem vitam arctissime hesi. Quod ad

a oben aRvB: De eucharistia.
b ein zweites dum gestrichen.
1 Michael Wüst war ein Vetter und Freund Bullingers. Er «ist von Jugend auf mein Wandergesell gewesen zu Emerich im Niederland und zu Köln, war trefflich gelehrt und zu Klingnau [Kt. Aargau] Schulmeister, darnach Pfarrer; denselben verführten die Wiedertäufer, und er starb in der Wiedertäuferei zu Oberglatt, wo er wollte weben lernen», berichtet Bullinger (Verzeichnis 2 447). — Tatsächlich figuriert «Michael Bremgart de Alemania» im Frühjahr 1519 in der Matrikel der Universität Köln, gefolgt von Johannes Bullinger (s. unten S. 114, Anm. 17) und am 12. September von Heinrich Bullinger (Krafft 154). Bullinger zählt ihn im Diarium (HBD 4, 2) unter seinen Studiengenossen auf. Wüst stand seit 1522 auch mit Zwingli in brieflicher Verbindung (Z VII 551ff). Wie sein späterer, aus Oberglatt (Kt. Zürich) an Zwingli geschriebener Brief vom 10. April 1526 und Zwinglis gleichzeitig an ihn gerichtetes Schreiben zeigen (Z VIII 561-564), zählte er schon seit längerer Zeit -also wahrscheinlich bereits vor dem 16. Dezember 1525 — zu den Täufern. In Oberglatt sind Täufer bezeugt (QGTS I 198ff u. ö.; s. noch AZürcherRef Nr. 984, wo auch die Wollweberei erwähnt wird). Bullinger berichtet ebenfalls in seinem Brief vom 2. Mai 1526 an Peter Homphäus (Nr. 17), einen ehemaligen Mitstudenten in Köln, daß Michael Wüst das Pfarramt mit der Weberei vertauscht habe. Kurz darnach wird Wüst wohl gestorben sein. — Daß es sich beim Adressaten des hier mitgeteilten Briefes um diesen Vetter Bullingers handelt, hat Staedtke 277 f eindeutig bewiesen. Bullinger dürfte demnach mit der Zusendung dieses Briefes und seiner Abendmahlsschrift vom 10. Dezember das Ziel verfolgt haben, Wüst zur Aufgabe seiner täuferischen Anschauungen zu bewegen (s. Staedtke 277f), obwohl das im Brief nirgends direkt ausgesprochen wird.
2 Siehe Anhang II, Nr. 5.
3 Juvenal, Satiren X, 356.
4 Aristarchos aus Samothrake, 217-145 v. Chr., griechischer Philologe und Bibliothekar in Alexandria, galt im Altertum als größter Meister der Kritik und Exegese. Sein Name wurde als Bezeichnung für Literaturkritiker sprichwörtlich, Adagia, 1, 5, 57 (LB II 204f). Der Ausdruck soll also heißen: sei kein allzu strenger Kritiker!
5 Johannes Frey (Liberianus), gest. 1569, Neffe des Propstes Felix Frey am Großmünster in Zürich, war seit 1523 Bullingers Schüler in Kappel. Er begleitete ihn am 23. Juni 1527


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litterarum figuras spectat, noli esse Aristarchus 4 ; sic enim unus ex adulescentulis meis me dictante quam celerrime istaec excepit, at mihi otium vix fuit relegendi, taceo vel innumeras expungendi mendas 6

Vale et ita age, ut intelligam te malle esse pauperem christianum, quam divitem impium, incredulum, mactatorem.

Ex coenobio nostro, 16. decembris 1525.

Heimrych tuus.

5f nach Zürich, wo sie im «Kappeler Haus» wohnten und die Vorlesungen der «Prophezei» besuchten. Der Studienaufenthalt dauerte bis zum 14. November. Als Nachfolger Bullingers wurde Frey 1529 Leiter der Schule in Kappel und Pfarrer in Hausen; von 1545 bis zu seinem Tode war er Pfarrer in Embrach (Kt. Zürich). Mit Bullinger stand er in brieflichem Verkehr. Dieser lobt ihn im Diarium als gelehrten und hervorragenden Mann. — Lit.: HBD 11, 8f; 17, 25; 101, 2f; Pestalozzi 51; Blanke 79f; Pfarrerbuch 280.
6 Dieses von Frey geschriebene Exemplar ist nicht erhalten.