[1896]
Autograph a : St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 34 (VBS V), 263 (ohne Siegel); [Beilage 1 : ] Bremen SUB, Ms a. 8, 89 b 2
Erwähnt ein Gutachten aus Konstanz [oben Nr. 1890, Beilage 1]; Bürgermeister Johannes
Haab und Seckelmeister Hans Rudolf Lavater sind als Gesandte zur morgigen Tagsatzung [20.
April] in Baden gewählt worden; in dieser Stunde wird im öffentlichen Rat über die Antwort
an die Reichsstände beraten; [Hans Konrad]Escher kann Vadian den Ratschlag [der Zürcher]
mitteilen, und auch das, was die Basler den Zürchern über den Konsens der Städte schrieben.
Bullinger hat von Vertrauten schriftlich Kunde davon bekommen, dass die [Reichs-]Städte dem
Kaiser Hilfe zugesagt haben. Was Bullinger neulich über den Fund des Grabes [von Kaiser
Flavius Honorius und seiner Frau Maria; oben Nr. 1892, 56-59] mitteilte, wurde jetzt von
Augenzeugen, zwei Kanonikern [Cornelius Wouters und Georg Cassander; s. Pellikan, Chronikon
162] aus Brügge, bestätigt, nach deren Darstellung Bullinger die Beilage schrieb.
Froschauer ist noch nicht aus Frankfurt zurückgekehrt; die ersten zurückkehrenden Kaufleute
brachten Bullinger drei Briefe mit: von dem Zittauer Oswald Pergener aus Schlesien [oben Nr.
1857], von Johannes a Lasco aus Friesland [oben Nr. 1871]und von Philipp Melanchthon aus
Wittenberg [oben Nr. 1881], dem Bullinger zur letzten Messe seinen Johanneskommentar
[1543; HBBibl I 153f]geschickt hatte. Pergener schreibt, dass das türkisch besetzte Blindenburg
[Plintenburg, Visegrád, Ungarn] daran denkt, sich zu ergeben [die Angabe stammt aus
Ambrosius Blarers Brief oben Nr. 1875, 36-39; Pergener berichtet über Stuhlweissenburg
und Gran, oben Nr. 1857, 42-46]; in Prag ist der evangelische Gelehrte Wenzel [Václav
Mitmánek]gefangen genommen worden, weil er in tschechischer Sprache evangelisch predigte
[s. oben Nr. 1857, 18-25]; man wundert sich, warum [König]Ferdinand trotz der günstigen
Situation nicht gegen den Türken [Sultan Suleiman I.]vorgeht; in der Lausitz, in Mähren und
Schlesien gewinnt das Evangelium beträchtlichen Zuwachs. Johannes a Lasco drückte elegant
und wortreich seine Verehrung der Schlichtheit der [Zürcher] Lehre aus; Bullinger gibt den
Schluss des Briefes wörtlich wieder: Wer er ist, kann Bullinger den Briefen entnehmen, die
Erasmus [von Rotterdam], sein Lehrer im wahren Glauben, an [a Lasco]geschrieben hat; die
Titel und Pfründen, die er von Jugend auf innehatte, hat er ebenso aufgegeben wie seine
Heimat und seine Freunde, um hier in der Fremde als Diener Christi die evangelische Lehrebriefe_vol_14_208 arpa
zu predigen. Bittet, ihn als Freund und Bruder anzunehmen. Wörtliche Wiedergabe von Melanchthons
Brief: Melanchthon hat Bullingers Johanneskommentar fast ganz durchgelesen,
auch weil sein Freund [Kaspar Cruciger]gleichfalls das Johannesevangelium kommentiert
und dabei seinen Rat sucht; Bullingers [Johannes-]Kommentar ist der wahren Kirche angemessen,
heilsam und bleibt dicht am vorgegebenen Inhalt; fordert Bullinger auf sich weiterhin
mit frommen, nützlichen und gemäßigten Veröffentlichungen um die Kirche verdient zu machen.
Sah in [Bullingers Kommentar zum]Matthäusevangelium die Stelle über die Monogamie
[zu Mt 5, 27-32; 19, 3-12]; der Dialog [Johannes Lenings] zur Verteidigung der Polygamie
[,,Dialogus ... ob es ... recht sei, mehr dann eyn eeweib zugleich zu haben", auch: "Dialogus
Neobuli"] hätte nicht publiziert werden dürfen, Melanchthon hatte vor der Herausgabe bei
den Zuständigen seine Meinung dazu vorgetragen; angebracht wäre Schweigen über dergleichen
Fehler bei ansonsten guten Menschen. Konsens und geistige Verbundenheit dürfen sich
nicht zerstören lassen; will die Verbindung zu Bullinger festigen und bittet um Antwort. Gruß
an [Konrad]Pellikan, dessen Brief an Markus [Crodel] er zufällig sah und an sich nahm, um
die Situation nicht zu verschlimmern. Dank an den Drucker [Christoph Froschauer]für die
übersandte Bibel [,,Biblia sacrosancta"]. Empfiehlt den Überbringer [Jakob Röist], den einzigen
Sohn des berühmten Bürgermeisters [Diethelm]Röist, Bullingers Patenkind, der seinem
Vater ähnelt, fromm und eifrig ist; er ahnt wohl Bullingers Empfehlung, die Vadian gutheißen
möge. -[Beilage:] Am 4. Februar 1544 wurde bei Arbeiten am Fundament der neu begonnenen
Basilika St. Peter a Julio, unweit von der Rotunde, des vermuteten Mausoleums von
Kaiser Honorius, ein Grab aus Marmor gefunden, das zwei Leichname enthielt, vermutlich
von Maria, der Gattin des Honorius und Tochter des Flavius Stilicho, sowie von Thermantia,
gleichfalls Gattin des Honorius und Tochter des Stilicho, von deren beider Tod die Historiker
berichten. Die Leichname waren in goldene Mäntel gehüllt, ihre Häupter trugen goldene
Diademe, doch bei der Berührung mit Luft zerfielen Gebeine und Gewänder zu Staub; das
gesammelte und gereinigte Gold hatte ein Gewicht von etwa 80 Pfund; an der Brust des einen
Leichnams befand sich ein weintraubenförmiger Schmuck aus Gold und Edelsteinen; beigegeben
waren: einige durchlöcherte Gefässe für Duftessenzen, 53 recht große Perlen, die bei
Berührung zerfielen, mehr als 100 goldene, mit Edelsteinen besetzte Ringe, einige goldene
Schnecken, goldene Brenneisen, eine silberne Urne, einige Kristallvasen, ein muschelartiges
Gefäss aus Achat; ein brotföriniger Schmuck aus Karneol und Achat mit einem goldenen,
edelsteinbesetzten Kreis oder Gurt, in dessen Steine auf beiden Seiten Namen eingraviert
waren: [Zeichnung; die folgenden Worte sich kreuzend in einem Kreis:] Stilicho, Honori
Maria, Vivatis; auf der anderen Seite die Namen von Honorius und Stilicho, Thermantia und
Serena. Bald darauf wurde alles in den benachbarten Palazzo zum Papst gebracht, wo es jetzt
aufbewahrt wird. Folgt ein Zitat aus dem "Chronicon Urspergense".
[Gedruckt: Vadian BW VI 303-307 (Brief). 307f (Beilage), Nr. 1338; Teildruck des Briefes und Druck der Beilage: Melchior Goldast, Philologicarum epistolarum centuria una, Frankfurt 1610 (2. Aufl. Leipzig 1674), S. 232-235, Nr. 55f; [Pietro Mazzuchelli,] La bolla di Maria moglie d'Onorio imperatore che si conserva nel Museo Trivulzio, Mailand 1819, S. 23-25; Druck der Beilage: Cl[audii] Claudiani ... quae extant, hg. v. Caspar Barth, Frankfurt a. M. 1650, S. 767f.]