[1907]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
5. Mai 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357, 72f (ohne Siegel); [Beilage:]1 E II 357a, 708 (Siegel) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 256f, Nr. 1084

Ein kaiserlicher Bote wollte dem im Thurgau unweit von Konstanz wohnhaften, zu dem Zeitpunkt abwesenden kaiserlichen Hauptmann Jörg Knöringer einen Brief mit Geld übergeben, wurde aber aufgegriffen, nach Frauenfeld geführt und nach Abnahme des Briefes und Geldes freigelassen. Nun befürchtet man, dass Kaiser (Karl V.] dies als Vorwand für einen Krieg gegen die Eidgenossen nehme; vielleicht wurde das gar zu diesem Zweck inszeniert; daher soll man den Landvogt [Melchior Heinrich] zur Rückgabe des Geldes und Klärung der Sache bewegen. Es wäre rechtmässig, Knöringer aufgrund seiner kriegerischen Gesinnung auszuweisen. Klärung der Botenfrage. Wartet auf Nachricht von Bullinger. [Beilage:]Befürchtet, dass der von Speyer herbeigeeilte Knöringer dort die Sache meldet und so das Unheil seinen Lauf nehmen könnte; auch der möglicherweise geplante Angriff auf einen Weinberg in Tägerwilen, der einem anderen Kaiserlichen, Sigmund von Landenberg, gehört, könnte Unruhe stiften. Die Reichsstädte unternehmen nichts gegen die Eidgenossen; zu überprüfen wäre, ob im Schreiben der Reichsstände die Reichsstädte unter den Absendern angeführt sind. Weiter wird berichtet, dass bei Zabern für einen Zug gegen Frankreich gemustert wird; der Herzog [Anton II.] von Lothringen erlaubt den Durchmarsch. Die Stände auf dem Reichstag [zu Speyer]können sich nicht einigen, ob sie selbst oder die Bürger für die Hilfe gegen Frankreich aufkommen.

37 Diethelm Röist.
38 Sixt Birck.
39 Birck übersandte am 30. April mehrere Exemplare seines Dramas "Judith"; s. Blarer BW II 254, Nr. 1081. -Hier handelt es sich um eine für Bullinger bestimmte Sendung, der ein Brief vom 25. April (oben Nr. 1901) beilag.
1 Die Zugehörigkeit der Beilage ergibt sich aus den übereinstimmenden Falt- und Schnittspuren sowie aus der Erwähnung der Knöringer-Affäre, die Gegenstand dieses Briefes ist, in Z. 54-58.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Fürgeliepter herr und vertrauwter bruder.

Es sytzt yetzund ain edelman, ist ain lediger 2 Knöringer, genant Jörg Knöringer 3 im Turgöw, nitt weyt von unser statt uff der Blaicke 4 ; ist vor allweg ain frantzösischer hoptman gewesen und rych by dem Frantzosen 5 worden. Yetzund aber ist er kaiserisch und diß nechstverruckt tag 6 widerum dem kaiser 7 zu in den krieg geritten. Nun ist uff gestert ain kaiserischer bott 8 komen für 9 sein huß; ist die frauw 10 nitt anhaim gewesen. Der bott aber hat brieff an inn gehapt mitt gellt, und ist ainer 11 von Altnouw im Turgöw 12 da fürgangen, hat den potten anfachen fragen, was er da schaffe; der hat im von der sach gesagt, von deren wegen er da sey. Das hat der paur von Altnouw in sin or genommen, ist gen Creutzlingen kommen, hats da ettlichen anzögt, under denen ouch ain landtgricht knecht 13 gewesen. Wie nun der bott, nach dem er ain weyl bey dem hauß gewartet hat und nieman kommen, widerum

2 unehelicher.
3 Jörg (Georg, Jorge) Knöringer (gest. 1556/1558) war ein unehelicher Sohn des Georg von Knöringen und Hauptmann in französischen und kaiserlichen Diensten. 1536 warb er als französischer Hauptmann Konstanzer Bürger an, 1538 ließ er sich in der Stadt nieder, musste sie allerdings 1541 wieder verlassen, da er gegen das Verbot des Rates weiterhin französische Pensionen empfing. Im gleichen Jahr wird er als Söldnerführer Jorge Knöringer aus Konstanz unter Philipp von Hessen erwähnt, 1542, mittlerweile im Thurgau ansässig, stand er in kaiserlichen Diensten. 1541 bis 1543 und nochmals 1547 bis 1552 wird er als Hauptmann im württembergischen Dienst aufgeführt, um 1554 als Hauptmann des Schlosses in Kirchheim unter Teck (Kr. Esslingen). Zwischen 1540 und 1550 wird er als Eigentümer verschiedener Häuser in Konstanz erwähnt. 1546 wurde er Bürger in Radolfzell (Kr. Konstanz, Baden-Württemberg), 1548 erwarb er Schloss Ober-Girsberg in der Gemeinde Emmishofen, Kreuzlingen (Kt. Thurgau), das seine Witwe 1559 dem Kloster Kreuzlingen übertrug. - Lit.: HBLS III 528; Kindler von Knobloch II 330; Neues württembergisches Dienerbuch, bearb. v. Walther Pfeilsticker, Bd. I, Stuttgart 1957, §1519/1610, Bd. II. Stuttgart 1963, §2479; P[eter Paul] Albert, Geschichte
der Stadt Radolfzell am Bodensee, Radolfzell 1896, S. 335-340. 376f; Hermann Strauß, Die Gyrsberge in Emmishofen, Kreuzlingen 1955. - Beiträge zur Ortsgeschichte von Kreuzungen IX, S. 3-58, bes. 28; Heike Preuß, Söldnerführer unter Landgraf Philipp dem Großmütigen von Hessen (1518-1567), Darmstadt und Marburg 1975. -Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 30, S. 51. 468f; Amerbach, Korn IX/1 23; Wolfgang Dobras, Bürger als Krieger. Zur Reisläuferproblematik in der Reichsstadt Konstanz während der Reformation 1519-1548, in: Vermischtes zur neueren Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte des Bodenseeraums. Horst Rabe zum Sechzigsten, hg. v. Frank Göttmann, Konstanz 1990, S. 232-264, bes. 249f.
4 Vielleicht ist damit Bleiken (Sulgen, Kt. Thurgau), 15 Kilometer südlich von Konstanz, gemeint.
5 König Franz I.
6 kürzlich (SI VI 856).
7 Karl V.
8 Unbekannt.
9 vor.
10 Anna, geb. von Schienen. Zu ihr vgl. Amerbach, Korr. IX/1 22f.
11 Unbekannt.
12 Altnau, Kt. Thurgau.
13 Unbekannt.


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der statt zu gangen und gen Creutzlingen kommen ist, hat man inn angenommen 14 und gen Frowenfeld gefüret, im allda den brieff und das gellt genommen und inn faren lassen etc. 15 Davon ist nun vyl und mancherlay sag 16 und rechnung 17 , das ettlich sorgend, dis sach möcht ain anfang sein ains gantzen Schwytzerkriegs und der kaiser werde es dahin deuten, das die aidgnossen den ersten angriff thon und inn zum krieg geraitzt habind; ja sy wellend achten, seye des gellts nitt sonders vyl (wie wirs dann noch nitt wissen mögend), so söllte es wol allso ain angelegte 18 sach sin, das man vyllicht a ain anlasß habe geben wellen. Und diewyl ich solichs gehört und vernommen, das diß sach ouch von verstendigen alls weyt ermessen 19 wurt, wollt ich euch solichs unverzogelich anzögen, dann es möchte gut sein, das mitt dem landtvogt 20 furderlich 21 verschafft 22 wurde, damitt er den brieff und das gellt des Knöringers frauwen zustallte mitt anzögung, diewyl sich der bott etwas argwönig erzögt, hab ime ampts halb in disen löffen 23 gepüren wellen, me ze rechtfertigen 24 etc., wie dann wol war ist etc. Darmitt keme man mitt glympff 25 uß der sach; dann sollte vyllicht der kaiser oder ander leut von desßwegen den aidgnossen schreiben und sy erst allsdann verschaffen, das das gellt und der brieff widergeben, wurde etwas schympflich sein und allerlay red geperen, allso das es den andern weg vyl geschickter und glympfigere 26 were. ||73 Es tragend ouch ettlich verstendig heut sorg 27 , diß handlung sollte wol ursach geben, das yetzund die straiffenden reuter im Hegöw 28 hin und wider gegen den eweren, so dann die merckt besuchend, ouch solichs fürnemend und handelten, und allso bald auß ainem geringen anfang großer unrath enstönde.

Daneben aber hette man gut fug und recht, das man dem Knöringer sagen liesße: Die weyl er dermassen zu kriegen gesynnet, das er dann da hinweg zieche und sein haushablich wesen anderschwa 29 hette, und man der frauwen bevelch, das sy sich da dannen thäte.

Wellt mir diß mein schreiben zu gut halten. Ir hapt mir bevolchen, zewachen und nichts ze sparen am botten lon. 30 Diewyl mich dann diß sach ouch für etwas wichtigs angesechen, hab ichs euch unverzogenlich wellen zu wissen thain, dann ewern schaden zu warnen und wenden, byn ich von hertzen genaigt. Wann ir mir aber den bevelch widerum uffsagend 31 oder

a vyllicht über gestrichenem g[...].
14 festgenommen.
15 Vgl. dazu EA IV/1d 376 b. 393 h.
16 Gerede.
17 Überlegungen (vgl. SI VI 131).
18 geplante.
19 ebenso folgenreich beurteilt.
20 Landvogt im Thurgau war Melchior Heinrich.
21 rasch.
22 verhandelt.
23 Entwicklungen.
24 verhören.
25 glimpflich.
26 vorsichtiger.
27 tragend ... sorg: befürchten.
28 Der Hegau im Grenzgebiet des Kt. Schaffhausen.
29 anderswo.
30 Ein Brief mit dieser Aufforderung ist nicht erhalten.
31 widerrufen.


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mitt anderer maaß leuterend, das ich waiß, wie und in waß sachen ich euch allweg aigen botten schicken soll, will ich mich allerding darnach richten.

Datum in grosser yl, Costentz, den 5. may um drey ur nach mittag anno 1544.

B. A.

Der andern botten bin ich uff morn mitt bschaid widerum von euch wertig. 32

E II 357a, 708 || [Beilage:]

Diser Knöringer ist ylends heruff von Spyer postiert 33 und ain rosß zu tod geritten, und zu besorgen, wann im diß mär nach kommen, werde b er glich widerum [y]lends c gen Spyr postieren, brieff ausß bringen 34 oder vyllicht bevelch, das er etwan aidgnossen ouch angriffe; damit wurde sich dann alls unglick anheben. Daneben sagt man, das man Sigmunden von Landenberg 35 , der dann yetz ouch von hinnen dem kaiser zu enweg zogen d 36 wider miner herren satz und verpott, ainen wyngarten zu Tegerwylen im Turgöw 37 anfallen 38 welle, und die weyl diser Sigmund den aidgnossen flirt verwandt, ouch diser wyngart nitt sein, sonder seiner hausfrauwen 39 , ist zu besorgen, es möchte ouch etwas unrath daruß erwachsen. Were gut, das man in sölichem behut[s]am und gewarsam handelte.

Item es hat mir ain fürnemmer mann yetzund zugeschriben, 40 die reychstett werden wider die aidgnossen nichts handlen, habend ouch nitt wellen mittschreiben. Ausß welchen worten mögt ir selbs inferieren, was der anderen halb zu gedencken seye. Es were ouch wol achtzuhaben, ob die stett

b werde korrigiert aus werder.
c Im engen Rand verdeckt.
d Nach zogen gestrichenes ist.
32 Die anderen Boten erwarte ich morgen mit Bescheid von euch.
33 hat sich ... herbegeben.
34 rechtliche Ermächtigung erlangen.
35 Vogt Sigmund von Hohenlandenberg, möglicherweise ein Sohn des Ulrich I. von Hohenlandenberg, lässt sich seit 1532 in Konstanz nachweisen. Bereits 1535 war er mit Graf Wilhelm von Fürstenberg nach Frankreich gezogen und stand auch 1540 gegen die Weisung des Rates wieder in französischen Diensten. 1544 wechselte er zum Kaiser über und siedelte sich außerhalb der Stadt an. - Lit.: Kindler von Knobloch II 437; Wolfang Dobras, Bürger als Krieger. Zur Reisläuferproblematik in der Reichsstadt Konstanz während der Reformation
1519-1548, in: Vermischtes zur neueren Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte des Bodenseeraums. Horst Rabe zum Sechzigsten, hg. v. Frank Göttmann, Konstanz 1990, S. 232-264, bes. 250f; Christoph Heiermann, Die Gesellschaft "Zur Katz" in Konstanz. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschlechtergeselischaften in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart 1999. -Konstanzer Geschichts- Rechtsquellen. NF der Konstanzer Stadtrechtsquellen 37, hg. vom Stadtarchiv Konstanz, S. 112-114.
36 fortgezogen.
37 Tägerwilen (Kt. Thurgau), etwa drei Kilometer südwestlich von Konstanz.
38 beschlagnahmen.
39 Barbara im Steinhaus, Witwe des Georg von Hof. -Lit.: Kindler von Knobloch II 437.
40 Nicht in Blarer BW.


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in sonderhait in dem schreiben an die aidgnossen, von stenden beschechen 41 , in der subscription ausgetruckt seyen oder nitt etc.

Er schreibt weyter, zu Zabern 42 werde man musteren und von dannen den zug in Franckreich nemmen; der hertzog von Lutringen 43 wurt den basß geben 44 45 . Gott schicks alles zum besten etc.

Die sach uff dem rychstag 46 steht yetz uff dem, das die stend sich nitt verglichen konnen, ob die bewilliget hilff wider Franckreych von den oberkaiten uss irem seckel bezalt oder uff den gmainen man gelegt solle werden. Brandenburg 47 , Mentz 48 und Triern 49 wellends auff den gmainen man schlachen, die andern drey 50 churfürsten ausß irem seckel, der mehrtail aber der stett ouch uff den gmainen mann; die andernn fursten beratschlagens noch. 51 Unsers lieben herrgots wirt e uff dem tag nienen 52 gedacht; aber er wurt sy 53 wol mitt der that ain mal erzögen, das sy innen werden, er seye danecht on ir beschriben 54 da gewesen. f

[Adresse auf der Rückseite:]g Praestanti pietate et eruditione viro d. Heinricho Bullingero, suo venerando atque longe charissimo fratri.

e wirt verbessert aus wirts.
f Darunter von Traugott Schieß' Hand: zu 1544 Mai 5.
g Am oberen Rand in der Hand Blarers: Die satzungen in disen sachen binden die christen nitt dann sy den juden geen seind.
41 Der Brief der Reichsstände an die Eidgenossen vom 2. April 1544; s. oben Nr. 1892, Anm. 16. Er wurde im Namen der Kurfürsten, Fürsten und der Reichsstände (nicht der Reichsstädte) verfasst.
42 Saverne, Dép. Bas-Rhin, Frankreich.
43 Anton II. von Lothringen (1489-1544), der der französischen Krone eng verbunden war, aber dennoch nicht nur geographisch zwischen Frankreich und dem Kaiser stand. - Lit.: Peter G. Bietenholz, in: Contemporaries II 349.
44 den basß geben: den Durchgang gestatten.
45 Siehe dazu PC III 487 mit Anm. 1.
46 Der Reichstag zu Speyer.
47 Kurfürst Joachim II. von Brandenburg.
48 Albrecht von Brandenburg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz.
49 Johann IV. Ludwig von Hagen, Erzbischof und Kurfürst von Trier.
50 Erzbischof Hermann von Wied von Köln, Ludwig V. von der Pfalz und Johann Friedrich von Sachsen.
51 Vgl. dazu das Votenprotokoll des Kurfürstenrates in: RTA JR XV/2 503-534; PC II 487f.
52 nicht.
53 sich (Genitiv von "er"; s. SI VII, 1013).
54 Einladung.