Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2319]

Bullinger an
Ambrosius Blarer
Zürich,
1. Januar 1546

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 94 (Siegelabdruck) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW I 405f, Nr. 1236

Neujahrswünsche. Auch wenn die Nachricht von der Gefangennahme des Landgrafen [Philipp von Hessen]falsch war, befürchtet Bullinger doch Schlimmeres. Denn [Herzog Heinrich

7 Die hier erwähnte frühere Fassung der ersten Lagen ist fragmentarisch in Ms 28.5/2—3 der Kantonsbibliothek St. Gallen erhalten, währenddem die hier erwähnten letzten Lagen möglicherweise einer früheren Fassung der Beschreibung vom Oberbodensee und St. Gallen entsprechen, die heute in Ms 28.5/1, 4 und 5 derselben Bibliothek aufbewahrt wird. —
Wir danken Herrn Rudolf Gamper für diese Erläuterung und Angaben.
8 Bullinger wird sich selbst mit dieser Thematik beschäftigen. Seine handschriftlichen Aufzeichnungen dazu erwähnt er u.a. in seinem für seine Kinder bestimmten Testament; s. Bullinger, Testament 25; Moser, Bullinger I 156—162; II 530—560.


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von Braunschweig], der vor dem Kaiser [Karl V.] und den Reichsständen der schlimmsten Untaten bezichtigt wurde, wird nun durch die angeborene Milde der Fürsten geschont. In der Vergangenheit warf man dem Kaiser vor, den Übeltäter geduldet zu haben. Nun aber verschaffen sich [Herzog Moritz von] Sachsen und [Herzog Erich II. von Braunschweig]-Lüneburg einen guten Ruf weil sie sich für den Verbrecher einsetzen. Pensionenempfänger wurden den Zürchern ausgeliefert, woraufhin sich die Berner und andere für sie einsetzten, so dass man sie schonte. Bald aber wird Zürich den Pensionenempfängern, durch deren Hand ihr Gegner Zwingli starb, ausgeliefert sein. Das gleiche Schicksal steht auch anderen bevor. Der Marchese [Alfonso d'Avalos] hat [den eidgenössischen Gesandten] eine für ihn selbst vorteilhafte schriftliche Antwort gegeben und sich zudem hochmütig benommen. Erst an der künftigen, noch nicht festgesetzten Tagsatzung wird beschlossen, ob man darauf eingeht. Blarer wird sicherlich vom Komplott gegen Turin gehört haben. Kriegsleute sind aus dem Piemont [zurückgekommen]. Die Berner haben 1'000 Mann in Richtung Genf entsandt. Sie wollten auch, dass die Eidgenossen 5'000 Mann aufbieten, doch spricht man nicht mehr davon. Die [Zürcher]verfahren wie bisher mit Kriegsleuten: Hauptleute, Anwerber und Soldgeber dürfen unter Androhung der Todesstrafe nicht in die Stadt. Wenn Kriegsknechte an einem Kriegszug teilnehmen, werden sie enteignet, bei ihrer Rückkehr verhaftet, und ihre Schwerter werden beschlagnahmt. Wie schon früher wird ihnen auch jetzt bei guter Führung nach längerer Zeit ihre Waffe wieder zurückgegeben. Es gab einen solchen Erlass kurz vor dem [24. Juni 1545]. Was also [Joachim] Mötteli [vom Rappenstein] oder andere erzählen, entspricht nicht der Wahrheit. Bullinger ließ den Brief an [Barbara, geb. von Ulm], die Frau [Jakob Röists], übermitteln. Er zweifelt nicht daran, dass sich Kaiser, Papst [Paul III.] und [König Franz I.] gegen Christus verschwören. Anbei schickt er [die Abschrift]des Briefes von [Kurfürst Johann Friedrich I.] von Sachsen [und Landgraf Philipp von Hessen an den Rat von Straßburg] zurück und bittet um Nachrichten über den [Schmalkaldischen] Bundestag zu Frankfurt. Grüße von [Rudolf] Gwalther, der beim Öffnen von Blarers Brief [HBBW XV, Nr. 2316] zugegen war.

Praestet tibi, vir colendissime et frater in domino charissime, divina bonitas, ut hic annus tibi et universae familie inierit auspiciis felicibus, progrediatur et exeat multo felicissimus.

Licet vana sint, quae narrantur de langravii captivitate, 1 ego tamen deteriora expecto, nam coram caesare 2 et statibus sive ordinibus imperii accusarunt eum a3 rerum in orbe crudelissimarum, quem ipsis 4 in manum dedit dominus, cui pro agnata b , ut aiunt, principum clemencia parcitur. Male audiebat caesar, quod ferret adulterum, virginum constupratorem, sacrilegum, latronem, incendiarium. Iam bene audiunt clementes principes Saxo 5 et Luneburgensis 6 , qui intercesserunt pro latrone. 7

a eum fehlt in der Vorlage.
b Randbemerkung von Bullingers Hand: Oh agnata!
1 Zum falschen Gerücht von der Gefangennahme Philipps von Hessen durch Christoph von Braunschweig, Erzbischof von Bremen, s. HBBW XV 691,44—51, und 707,7—9.
2 Karl V.
3 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel. — Zur Gefangennahme Heinrichs und seines Sohnes Karl Viktor in der Nacht zum 21. Oktober 1545 s. HBBW XV 622 und Anm. 4.
4 Philipp von Hessen und Herzog Moritz von Sachsen.
5 Moritz von Sachsen.
6 Herzog Erich II. von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg.
7 Zu deren Einsatz für Herzog Heinrich s. Simon Ißleib, Herzog Moritz von Sachsen und der braunschweigische Handel 1545, in: Archiv für die Sächsische Geschichte 5, 1879, 110.


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Tigurinis dabantur in manus pensionarii. Intercessere Bernates et alii. Parsum est illis. 8 Sed mox nostri traditi sunt in manus pensionariorum, et Zvinglius, qui singulariter illos persequebatur, 9 manu caesus est pensionarii. Manent sua fata 10 et alios.

Der marggis 11 hat ein antwort in geschrifft 12 gäben, vil glimpffs imm selbs geschöpfft 13 und gute wort gäben, sich sunst fücht gehallten 14 und hoch getragen 15 Ob die eydgnossen dran kummen 16 werdent, wirt an dem künfftigen tag kundt werden, der doch noch nitt gesetzt ist, dann min herren 17 nitt vermeint, nodt sin einen anzusetzen. 18 Wie die verrätery über Turin gangen, 19 darvon ir on zwyfel wüssend. Sind ettlich kriegslüt imm Bemond 20 xin 21 Sind kunstliche 22 warnungen beschähen, das die Berner 1000 mann zu einem fendli 23 zum zusatz 24 gen Jenff 25 uußgenommen 26 , 5000 zu einem

8 Die hier angesprochene Angelegenheit und die Identität der von den Zürchern festgenommenen Pensionenempfänger wurde nicht ermittelt. Die Sache wurde wohl schon im April 1545 erwähnt, als die Eidgenossen sich bezüglich der Erneuerung des Bundes stritten; vgl. nämlich HBBW XV 274,27—29, wo aber im Gegensatz zur dortigen Erläuterung in Anm. 21 mit "Houptlüt" nicht die damals nach Zürich gesandten Innerschweizer gemeint sind, sondern Hauptmänner, die sich 1544 unerlaubterweise an dem Krieg zwischen Karl V. und Franz I. beteiligt hatten.
9 Zum Kampf Zwinglis gegen das Pensionenwesen s. etwa Christian Moser und Hans Rudolf Fuhrer, Der lange Schatten Zwinglis. Zürich, das französische Soldbündnis und eidgenössische Bündnispolitik, 1500-1650, Zürich 2009, S. 33—43; Ernst Gagliardi, Zwinglis Predigt wider die Pensionen: 5. März 1515, in: Zwa 3/11, 1918, 337-347.
10 Vgl. Vergil, Aeneis, 10, 438.
11 Alfonso d'Avalos, Marchese del Vasto (Guasto), Statthalter von Mailand. — Zum Streit über die Beschränkung des Mailänder Marktes auf die Region, Avalos' Provokationen und zur eidgenössischen Gesandtschaft s. HBBW XV 571,12—16 und Anm. 13. 665f. 27—32. 679,21—25.
12 schriftliche Antwort.
13 vil glimpffs imm selbs geschöpfft: sich selbst beschönigt.
14 fücht gehallten: groß getan.
15 sich hoch getragen: sich hochmütig erwiesen.
16 dran kummen: darauf eingehen.
17 Der Zürcher Rat. — Zürich war damals Vorort der Eidgenossenschaft.
18 1546 fand der erste Tag zu Baden am 12. April statt. Die Akten zeigen, dass über die Gesandtschaft nach Mailand diskutiert wurde; s. EA IV/1d 604 s.
19 Über den angeblichen Versuch des Herzogs Karl III. von Savoyen, Turin von den Franzosen zurückzuerobern, s. HBBW XV 687,6—9. 706; PC III 690, Nr. 644. Hintergrund dieser Unruhen waren die Bemühungen Karls III., wieder zu seinen verlorenen Territorien zu kommen; s. HBBW XV 690,17f.
20 Piemont.
21 gewesen.
22 kenntnisreiche, ernstzunehmende.
23 Fähnlein (eine kleine Heeresabteilung).
24 zur Unterstützung.
25 Genf. —Schon im November gab es erste Gerüchte über aus dem Piemont gegen die Region Genf ziehende spanische Truppen (s. HBBW XV 685,23—29), woraufhin auch die Stadt Genf militärische Vorbereitungen traf. Die hier erwähnte Truppensendung war für die Berner Gebiete rund um Genf bestimmt. Bern bot auch der Stadt Genf umgehend Hilfe an, u.a. die Entsendung von 2,000 Soldaten, worauf die Genfer ablehnend reagierten, da die Stadt nicht unter Berner Hoheit fallen wollte. Gleichzeitg kamen Gerüchte auf, dass sich Genf zu seinem Schutz


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paner 27 ordnen wöllen und alle eydgnossen uffgemanet habend; ist aber widerumb ersässen 28 .

Min herren habend ire setzungen 29 unverbrochen 30 der kriegslüten halb; welche houptlüt und uffweybler 31 und gälltuußgäber blybend bim schwert 32 usset der statt; und ist kein gnad. Die gmeinen knächt sind nie usset der statt xin, das man sy bedörffen ynlassen c . Wenn sy hinlouffend 33 , nimpt man inn, was sy hand. Wenn sy widerkummend, leit 34 man sy in die türm 35 . Das ist bißhar mitt allen gebrucht. Demnach last man sy one tägen 36 gan. Da ist wol war, das man den gmeinen knächten vor Joannis Baptistae 37 d[ie]d dägen wider ze tragen erloupt hat. Wenn Mötili 38 oder ander anders sagend, so ists ze vil 39 . ||94v. Es ist ouch nitt nüw, das man inen die tagen wider erloupt, dann es ouch vornaher 40 vor 16 jaren gebrucht, wenn der gmein mann sich wol gehallten, ein zyt baß gethan und ein zyt angestanden 41 , das man inen wider die gwerr 42 erloupt. 43

Literas uxori Röystii 44 protinus afferri curavi. 45 Nil dubito, quin caesar, papa 46 , Gallus 47 et multi alii conspirent contra Christum, sed qui in coelis

c ynlassen über gestrichenem uußlassen. —
d Textverlust durch Entfernung des Siegels.
Frankreich unterstellen wolle. Letztlich kam es nicht zu einem Angriff; s. Gautier III 243—252; PC IV/2, Nr. 9; EA IV/1d Reg., bes. S. 573—578. 585—587.
26 aufgeboten haben.
27 Banner (eine Heeresabteilung, die größer als ein Fähnlein ist).
28 ruhig geworden.
29 Satzungen.
30 unverändert gelassen. — Hier antwortet Bullinger auf Blarers Anfrage zur Söldnerproblematik; s. HBBW XV 708,18—23. Dabei ging es um Söldner, die 1544/45 an den Kriegen zwischen Karl V. und Franz I. und zwischem Letzterem und Heinrich VIII. teilgenommen hatten; s. HBBW XIV 508,11—15 und Anm. 5. 510 und Anm. 4.
31 Anwerber.
32 bim schwert: unter Androhung der Todesstrafe.
33 Gemeint ist: wenn sie an einem Kriegszug teilnehmen würden.
34 legt.
35 in die Gefängnisse. — Zur Bestrafung von Söldnern s. Hermann Romer, Herrschaft, Reislauf und Verbotspolitik. Beobachtungen zum rechtlichen Alltag der Zürcher
Solddienstbekämpfung im 16. Jahrhundert, Zürich 1995 — Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 28, S. 109. 182—212.
36 Degen (ein Zeichen bürgerlicher Ehre).
37 24. Juni 1545.
38 Joachim Mötteli vom Rappenstein, der in Konstanz erzählt hatte, dass Zürich von heimkehrenden Söldnern keine Buße verlangte, woraufhin sich Blarer am 30. Dezember 1545 nach der korrekten Sachlage erkundigt hatte; s. HBBW XV 708,18—23.
39 zu ergänzen: gesagt.
40 zuvor. 41
41 gewartet.
42 Waffen.
43 Die ersten erhaltenen Schriftstücke Bullingers zur Söldnerfrage und zu den die Söldner anwerbenden Pensionenempfängern stammen aus den Jahren 1547 und 1549; s. HBBW XV 325f. Anm. 15.
44 Barbara, geb. von Ulm, die Frau Jakob Röists.
45 Zu diesem unbekannten Brief s. HBBW XV 708,15f.
46 Paul III.
47 Franz I.


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habitat, ridebit eos 48 . Scriptum Saxonis 49 remitto et oro, ut ea, quae accipies a Francfordiensibus comitiis 50 , communices.

Vale cum omnibus tuis. Salutant te fratres omnes, imprimis Gvaltherus, qui apud me erat, cum tuas 51 resignarem.

Tiguri, circumcisionis die anno 1546.

Tuus, qui semper, totus.

[Adresse darunter:] Praestantissimo viro d. Ambrosio Blaurero, fratri semper colendo et amando. e