[2769]
Johannes Haller
an Bullinger
Augsburg,
25. Januar 1547
Autograph: Zürich StA, E II 370, 49 (Siegelspur)
Ungedruckt[1] Wann wird Bullinger sein Schweigen brechen? Und warum muss Haller ausgerechnet in
dieser katastrophalen Lage schon einen Monat lang auf Bullingers Rat warten? Die in Augsburg
angestellten Zürcher Pfarrer [Haller, Lorenz Meyer; Thoman Ruman und Rudolf Schwyzer
LA.]werden ihren Weggang nur noch einige Tage aufschieben können. —[2]Anton Fugger
hat bei Kaiser Karl V. einen Frieden erwirkt, doch unter derartigen Bedingungen, dass deren
Annahme durch den Augsburger Rat überraschend ist. Zwar sollen Religion und Freiheit
unangetastet bleiben, jedoch unter Auferlegung einer hohen Geldstrafe, der Aufnahme von
kaiserlichen Besatzungstruppen in der Stadt (um einen Aufstand der Bürger zu verhindern)
und der Auslieferung von Sebastian Schertlin und Bernardino Ochino. Und doch beschloss der
Augsburger Große Rat, den Frieden anzunehmen! Das haben die Kaufleute, Steuereinnehmer
und dergleichen Nichtsnutze angerichtet. Ihnen ist ein schändlicher Frieden lieber als eine
riskante Freiheit und als das Kreuz Christi! Das einfache Volk ist empört. Ein Aufstand ist zu
befürchten. Demnach müssen sich die Augsburger Pfarrer auch vorsichtiger äußern. Zwar
hatten sie und Georg Frölich die Kaufleute zur Standhaftigkeit ermahnt, allerdings vergebens.
Um dem Kaiser den Fußfall zu leisten, werden heute vier Gesandte [Marx Pfister, Konrad
Maier; Sebastian Seitz und Jörg Hopfer] abgeordnet. — [3] Haller hat dies schon längst
kommen sehen. Seltsam, dass Bullinger nichts schreibt! Er möge doch beim Zürcher Rat die
rasche Rückberufung der Zürcher Pfarrer erwirken, da diese sich keinesfalls dem Vorkämpfer
des Antichristen [Papst Paul III.]unterwerfen wollen. Zudem kann man sich gut vorstellen,
was die Spanier in der Stadt treiben werden! —[4] Bernardino Ochino wird aus Augsburg
fortgeschickt. Anscheinend soll auch Sebastian Schertlin die Stadt verlassen. Dieser drohte
aber mit einem bewaffneten Aufstand seiner ihm verbliebenen 2'500 Kriegsknechte und der
Bauern [aus der Umgebung]: Man werde überall von ihm hören! Eile ist also geboten, ehe die
Straßen gesperrt werden und die Spanier kommen. Lieber von selbst den Abschied einreichen!
Die Zürcher Pfarrer hoffen, dabei weder Bullinger noch dem Zürcher Rat einen schlechten
Dienst zu erweisen. Haller weiß wohl, dass es nicht einfach sein wird, den Weggang aus
Augsburg durchzusetzen, zumal die Augsburger Obrigkeit ein Gerede im Volk vermeiden will.
Eine Genehmigung der Zürcher würde es den Zürcher Pfarrern schon leichter machen. Doch
auch ohne eine solche will Haller lieber mit Frau [Elsbeth, geb. Kambli]und Kindern [Agnes
und Johannes] ins Exil gehen, als sich unterwerfen! Bestimmt werden auch andere Prädikanten
weggehen. Sie warten aber auf die Abreise der Zürcher (die am ehesten Grund dazu
haben), um dann auch die Stadt verlassen zu können. —[5]Gruß. in Eile. Haller bittet um
Nachsicht. Er ist so beunruhigt, dass er nicht weiß, was er schreiben und tun soll.
S. Quis tandem silentii tui erit finis, observande pater? Cur ita in his turbulentissimis
rebus tuis usque destituor et literis et consiliis? Equidem integro
iam, quid nobis sit agendum, mense abs te consilium expecto. 1 Eo
autem res devenere, ut, nisi intra paucos dies tuas et dominorum Tigurinorum
accipiamus non possimus ultra abitum ab Augusta differre.
Meyer (Agricola), (Hans) Thoman Ruman
(Römer) und Rudolf Schwyzer d.Ä.
Fuggerus 3 pacem apud caesarem 4 impetravit, sed talem, qualem ego nunquam
credidissem senatum nostrum recepturum! Promisit quidem salvam
religionem et libertatem, sed petit interim pecuniae mulctam numerosissimam.
Vult etiam aliquot suorum militum cohortes sive vexilla ad praesidium
urbis, ne tumultuent cives, imponere. Petiit Schertlinum 5 et Bernhardinum 6
sibi tradi. Nostri habito senatu magno a concluserunt se inituros pacem, quibuscunque
tandem possint conditionibus. 7 Hoc effecerunt nebulones illi monopolae
8 , publicani, etc., qui inhonestam potius volunt habere pacem quam
periculosam libertatem, quam crucem tollere velint Christi. Tantam nunquam
vidi perfidiam! Reclamat vulgus. Metuenda seditio, unde etiam nobis
parcius hac de re dicendum est. 9 Monuimus eos 10 fideliter, nominatim perstringentes
negotium, sed nequicquam. Laboravit etiam d. Laetus 11 , ne deficerent,
sed frustra. Dimittuntur hodie 4 legati 12 , qui supplices procidant ad
pedes caesaris veniam petentes seseque dedentes.
Haec, cum iampridem futura vidissem, scripsi. 13 Tu tamen nihil adhuc
(quod satis mirari non possum) b respondes. Rogo ergo denuo, 14 efficias apud
senatum, ut sine ulla mora revocemur. Nolumus enim nos subiicere impio
huic antichristi 15 propugnatori 16 . Quid futurum sit Hispanis in urbem venientibus,
consideres ipse. Scis, quid quaerant. Intromissuri enim sunt eos; hoc
aperte concluserunt.
Bernardinum alio dimittent. 17 Audio etiam iam Schertlinum relegatum
in 18 , sed non satis compertum hoc. ||49v. Ich weiß aber, das er tröwt 19 hatt:
Müß er darfon, well er sine knecht, deren er bis in 2'500 noch bi imm hatt,
und alle puren an sich hencken
c20 , und ein selchen lerman anheben
21 imm
land, das jederman von imm sagen müß. Dorumb ists amm zyt. Ich bsorg,
wir werdind verkürtzt,
22 das die straßen verlegt
23 werdindt. So wellend wir
der Spanger
24 nitt warten. Ee
25 selbst urlob
26 nemmen, hoffende, wir thüyind
27 daran weder üch nach
28 minen herren ein undienst
29 , wiewol ich weiß,
das ich mitt großer marter
30 mich usrißen
31 müß. Dann si mich ungern werdend
laßen von wegen deß gmeinen mans, und das si nitt das wort habind,
32
das die predicanten von inn ziehend. Dorumb welt ich gern, das man uns
schribe, das ich dest beßer füg
33 hett. So man uns aber nitt schript, wil ich ee
mitt wyb
34 und kind
35 ins eilend gan, wohin mich gott fart, dann ich mich
dahin begeben
36 well. Es werdend uch ander predicanten uf sin
37 , die all uff
uns sehend, diewyl wir besser ursach hin zü faren 38 habend dann si.
Vale. In yl. Ignosce. Tam sum perturbatus et dubius, ut quid scribam, quid
agam, nesciam. Augustae, 25. ianuarii 1547.
I. Hallerus tuus.
[Adresse darunter:1 Clarissimo viro d. m. Heinrycho Bullingero, domino suo
observando. Zürich m. Heinrych Bullinger. 39