[2888]
Johannes Haller
an Bullinger
Augsburg,
25. April [1547]
Autograph: Zürich StA, E II 370a, 522 (Siegelspur)
Ungedruckt[J]Haller schreibt nur kurz, denn in einer Stunde bricht Hans Wilpert Zoller d.J. nach Zürich
auf uni den Nachstellungen der Kaiserlichen in Augsburg zu entgehen. Er wird den vorliegenden
Brief mitnehmen. -[2]Sichere Nachrichten über den Kurfürsten Johann Friedrich von
Sachsen gibt es nicht. Kaiser Karl V. soll schon in Zwickau sein. Manche behaupten, dass die
Böhmen wieder [vorn Kurfürsten]abgefallen und heimgekehrt sind. Hoffentlich stimmt das
nicht! -[3]Einige Augsburger haben am 20. April in der Frühe beobachtet, wie in der Nähe
der aufgehenden Sonne zwei Schwerter miteinander kämpften, eines das andere besiegte und
die Sonne schwarze Kugeln ausstieß. Möge dies ein Vorzeichen für den Sieg der Kirche Christi
sein! - [4] Gestern wurden Musterungen durchgeführt. Den kaiserlichen Soldaten schuldet
man zwei Monate Sold, aber man konnte ihnen nur einen Monat bezahlen. Unzufriedene
Landsknechte haben sich daraufhin zusammengerottet, so dass Oberst Bernhard von Schaumburg,
die Musterherren und die Hauptleute sich aus Furcht verstecken mussten. So macht der
Herr die Gottlosen zum Gespött der Frommen! -[5]Die Augsburger Kaufleute haben Briefe
aus Konstantinopel erhalten, in denen der Anmarsch des Türken, Sultan Suleiman, gemeldet
wird. In Wien ist es bei Todesstrafe verboten, über dessen Ankunft zu reden. Gott hat die
Herzen so sehr verstockt, dass man die Türkengefahr vernachlässigt, um stattdessen Christus
zu unterdrücken! -[6]In Italien kommt es zu Unruhen wegen der Einführung der Inquisition
gegen die sogenannte "häretische Verdorbenheit" im Königreich Neapel und in Sizilien. Die
Sizilianer haben bereits 13 Inquisitoren umgebracht, und die Neapolitaner haben vom Vizekönig
Pedro Alvarez de Toledo unter Anwendung von Gewalt die Aufhebung der Inquisition
erlangt. -[7] Was der neue französische König Heinrich II. vorhat, ist ungewiss. -[8] Die
kaiserlichen Soldaten in Augsburg haben große Angst vor Sebastian Schertlin. Haller ist sich
sicher, dass dieser ganz Schwaben bezwingen würde, wenn er 10'000 Söldner hätte. Er ist
derart gefürchtet, dass aile Städte sich ihm aus freien Stücken übergeben würden!
- [9] Über Landgraf Philipp von Hessen hört man nur, dass er ein Heer sammelt. Viele
vermuten, dass er damit in die Niederlande einfallen wird. - [10] Doch ist die wichtigste
Nachricht diese: Ein neuer Pfaffenbund soll aufgestellt werden! Damit sollen sich Kaiser,
König Ferdinand, Fürsten, Bischöfe und Pfaffen, ja sogar einige Städte zusammentun! In Ulm
haben sich zahlreiche Gesandte eingefunden. Dies ist für Haller die schlimmste Nachricht
dieses Krieges! Von den [schmalkaldischen Verbündeten]hört man nichts. Einige Augsburger
versuchen noch, Widerstand zu leisten, aber es ist zu befürchten, dass die Verbündeten dem
Beispiel der Mehrheit der [süddeutschen]Städte folgen werden. Was bleibt dann anderes übrig
als das Zertrampeln der evangelischen Freiheit? Irgendein böser Dämon hat dafür gesorgt,
dass man das evangelische Bündnis preisgibt, sich den Antichristen anschließt, deren Zeichen
auf die Stirn annimmt und so sein eigenes irdisches und ewiges Verderben besiegelt! Bullinger
und die Seinen sollen dafür beten, dass der Herr solche Pläne zunichtemacht. -[11]So viel
für diesmal! Haller muss nun zur Hochzeit der Tochter [Anna] von Georg Frölich. Sebastian
Lepusculus hat die Tochter [...] von dem mit Christoph Froschauer bekannten Leonhard Burtenbach
geheiratet. Dies hat jedoch Anstoß erregt, da die Braut noch so jung ist und die Heirat
sehr schnell zustande kam. -[12]Gruß an die Mitglieder und Vorsteher der Zürcher Kirche,
auch von Marias.
S. Pauca do, quia intra horam discessurus est Zollerus 2 , per quem has mitto.
Cogitur is abire propter caesareanorum insidias.
De electore 3 nihil certi habemus. Aiunt Zviccaviae iam esse caesarem 4 .
Bohemos defecisse iterum 5 et rediisse domum spargunt quidam, sed falso, ut
spero.
20. Aprilis viderunt quidam ex civibus nostris oriente soie iuxta ipsum
sous corpus gladios duos certantes alterumque tandem victum succubuisse
solemque atros globos ex se emisisse. Portendant utinam ecciesiae Christi
victoriam! 6
Heri, 24. aprilis, hatt man gmusteret und den knechten 7 allein ein sold
wellen gen, deß si nitt zufriden, dann 8 man inen jetz zwen monet schuldig. 9
Habend etlich knecht sich a zusammenthon, also das der oberst 10 mitt sampt
den musterherren und hauptlüten sich habend müssen verbergen. Ita deus
confundit impios, ut risum moveant omnibus piis. 11
Turcae 12 adventum testantur literae ex Constantinopoli nostris mercatoribus
missae. Viennae capitis supplicio interdictum est, ne quis de Turcae
dicat adventu. Ita obduravit deus corda eorum, 13 ut Turcae vim negligant,
tamen ut Christum supprimant.
aufgenommen, in dem hingegen unter
dem Datum des 29. Januar 1547 (ausgerechnet
am Tag, an dem die Augsburger
Gesandten Kaiser Karl V. den Fußfall
in Ulm leisteten ...) ein in Augsburg beobachteter
Doppelregenbogen um die
Sonne dargestellt wird; s. The Book of
Miracles. Das Wunderzeichenbuch. Le livre
des miracles. The Augsburg Manuscript
from the Collection of Mickey Cartin,
hg. y. Joshua P. Waterman und Till-Holger
Borchert, Köln 2017, S. 242.
In Italia novi oriuntur motus. 14 Instituerunt haereticae pravitatis (ut vocant)
inquisitionem in regno Siciliae et Neapolitano. Siculi 13 ex eis inquisitoribus
trucidarunt. Neapolitani vi obtinuerunt apud viceroy 15 , ut intermitteret
eam 16 .
Quid novus Galliae rex 17 tentet, incertum est.
Timent milites nostri Schertlium supra modum. Non dubito, quin, si decem
millia saltem haberet secum milites, cogeret universam Sueviam. Omnes
ei se ultro offerrent urbes, tantus eius est timor apud omnes!
De landgrafio 18 hoc unum audimus, quod exercitum colligat Inferiorem
Germaniam, ut multi coniiciunt, petiturus.
Sed quod omnium maxime te scire volo, est, quod audio novum foedus
fabricari pfafficum, 19 in quo caesar, rex 20 , principes cum episcopis et pfaffis
adhibitis etiam urbibus conveniant. Et iam multi convenere legati apud Ulrnam.
Nil est, quod unquam in hoc bello tam mihi fuerit molestum! De
nostris 22 , quid facturi sint, nihildum audio. Obstamus 23 , quantum in nobis
est, sed vereor, ne pluralitatem sint secuturi urbium. Tunc quid restat quam
pessundatio 24 evangelii omnisque libertatis. Nescio quis malus daemon 25
invaserit nos, ut relicto sancto evangeliorum foedere 26 misceamus nunc nos
antichristianorum 27 consortio eorumque signa sinamus in frontibus nostris
depingi, 28 unde certissimus tam corporum quam animarum sequetur interitus!
29 Frangat dominus huiusmodi consilia 30 propter nominis sui gloriam,
quod et vos nobiscum petite, charissimi fratres!
Plura nunc non possum. Abeo jarn ad nuptias filiae Laeti 31 , quae hodie
fiunt Lepusculus 32 uxorem duxit Leonardi Burtenbachii filiam 33 , qui Froschovero
oberdeutschen Stände nach Ulm bestellt.
Am 23. April wurde ein Vorschlag für
die Bundesverfassung erstellt, wonach
alle Religionssachen ausgenommen werden
sollten; s.
Rommel, Ulm 95f mit
Anm. 49.
notus est, utinam non cum tanto ecclesiae offendiculo, partim quod
tam iuvenem, partim quod tam cito duxerit.
Tu vale cum omnibus tuis! Salva cupio omnia ecclesiae vestrae membra,
imprimis antistites! Salutat te Marius
34 . Ex Augustia Vindelicorum,
25. aprilis.
Tuus, quem nosti, J. H.
[Adresse darunter:] Eximio pietate et doctrina viro d. Bullingero suo tanquam
patri colendo. M. Heinrich Bullinger zu Zürich.
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