[3168]

Celio Secondo Curione
an Bullinger
Basel,
Mittwoch, 21. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 366, 79 (Siegelrest) a Ungedruckt

[1]Curione erhielt durch den ihm empfohlenen Zürcher Studenten [Konrad Forrer?]Bullingers Brief [nicht erhalten]und zudem dessen christliches und wohl gestaltetes Buch ["Series et digestio temporum"]als Geschenk. Dieser hat in seiner inhaltsreichen und bedeutenden Schrift das Wirken des Apostels Paulus, das die von Herkules vollbrachten Aufgaben übertraf dem Leser (ja der ganzen Christenheit!) in chronologischer Reihenfolge anschaulich darstellt. Dabei hat er die große Leistung des Apostels zwar nicht übertroffen, sicherlich aber Vergleichbares vollbracht. Bullingers Schilderung der damaligen Ereignisse ließ Curione sogar regelrecht in diese Zeit eintauchen! -[2]Bullinger soll weiterhin mit solchen Werken zur Förderung und zum Ruhm der Kirche beitragen und zugleich seinen für sein junges Alter so berühmten und gelehrten Kollegen und Gevatter, Rudolf Gwalther, dazu ermutigen, auch selbst wieder so etwas Großartiges zu veröffentlichen wie schon dessen Werk "Der Endchrist"oder seine Schrift grec sive servus ecclesiasticus"], die Bullinger seinem Buchgeschenk beigelegt hat. Wenn die Pfarrer und Kirchenverwalter Gwalthers jüngstes Werk gründlich lesen, werden sie weniger Fehler in der Ausübung ihrer Ämter begehen. -[3] Um noch einmal auf den [erwähnten]Zürcher Stipendiaten sprechen zu kommen: Curione hatte ihn sehr freundlich empfangen und ihm jedwede Unterstützung angeboten. Aber was ging in ihm vor? Einen Tag nach seiner Ankunft mit Huldrych Zwingli d.J. war er wieder verschwunden! Einige behaupten, er sei nach Paris aufgebrochen. So ein plötzlicher Sinneswandel bei jugendlichen ist schon verwunderlich... Dabei erschien er Curione doch

c In der Vorlage domino. -
a Mit Schnittspuren.
8 Theodor Bibliander. Der Überbringer des vorliegenden Briefes war Fernando Diaz Paterniano; s. oben Z. 12-14. - Diaz sollte auch die Briefe von Oswald Myconius
vom 2[3.] März 1548 (Nr. 3170) und von Johannes Gast vom 23. März 1548 (Nr. 3169) nach Zürich überbringen; s. Nr. 3170,1 und Nr. 3169,32.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
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gut erzogen zu sein und eine gute Ausbildung in Griechisch und Latein genossen zu haben. Bullinger soll aber wissen, dass es nicht an Curione liegt, wenn die ihm von Bullinger empfohlenen Studenten bei den Baslern nicht gut aufgenommen werden. -[4] Curione fand Bullingers brieflich übermitteltes Urteil über das Augsburger Religionsgespräch [nicht erhalten]sehr zutreffend. Sofern Gott die Beschlüsse [des Interimsausschusses]nicht vereitelt, werden [Bullingers Befürchtungen] wohl zutreffen. -[5]Aus Basel gibt es keine Neuigkeiten. Aus Italien aber erfährt man, dass die Venezianer die Ankunft der Truppen von Kaiser Karl V. [in Italien]befürchten und deshalb einen obersten Befehlshaber ernannt haben. Das geschieht nur bei größter Gefahr! Laut einigen, die aus Italien kommen, sollen Papst Paul III. und Karl V. einen Waffenstillstand geschlossen haben. Das zeige sich auch daran, dass ein großer Teil der päpstlichen Soldaten und Besatzungen aus Parma und den anderen Städten entlassen worden sei. -[6]Sobald Bullinger Neuigkeiten hat, soll er sie mitteilen. -[7]Grüße und Bitte um Gebet. -[8]Grüße an Bullingers Familie und an Theodor Bibliander, der gerade sein neues Werk [ ratione communi omnium linguarum et literarum commentarius"]herausgegeben hat, sowie an Rudolf Gwalther und die anderen [Pfarrkollegen].

S.D. per Christum lesum. Ab eo 1 , quem mihi commendabas, ecclesiae scholaeque vestrae alumno, sapientissime et amantissime Bullingere, literas tuas una cum sancto 2 et eleganti munere 3 accepi b . Navasti operam praeclaram et tua ista doctrina singulari dignam, qui Pauli labores illos plusquam Herculeos 4 illorumque temporum ordinem et gesta nobis (imo reipublicae christianae!) c tamquam in tabula 5 spectanda proposueris, in qua re tu, si minus superasti, aequasti tamen Pauli immensos illos felici stilo et tractatione labores. Mihi autem tuus iste libellus ita placuit, ita ipsa veterum temporum descriptione me d affecit, ut mihi non iam huius aetatis aliquis, sed illorum temporum unus esse viderer.

b accepi fehlt in der Vorlage. -
C Klammern ergänzt. -
d me fehlt in der Vorlage.
1 Vermutlich Konrad Forrer aus Winterthur; s. Nr. 3156,8-10 mit Anm. 7. - Bei dem hier erwähnten Besuch eines Studenten kann nicht jener von Lamprecht Zehnder gemeint sein, der (ebenfalls mit einer Empfehlung von Bullinger) vor dem 31. Januar 1548 gemeinsam mit Huldrych Zwingli d.J. bei Curione erschienen war, weil der im vorliegenden Brief erwähnte junge Mann neben Bullingers Werk (s. dazu unten Anm. 3) ebenfalls Rudolf Gwalthers erst am 17. Februar 1548 abgeschlossenen Druck grec sive servus ecclesiasticus"als Buchgeschenk überbrachte; s. unten Z. 14f mit Anm. 7 und auch Anm. 7 sowie Nr. 3124,8f mit Anm. 4.
2 christlichen; s. Niermeyer 111223.
3 Bullingers kürzlich erschienenes Werk "Series
et digestio temporum"(HBBibl I 176; VD16 B9789), von dem der erwähnte Zürcher Stipendiat (s. oben Anm. 1) ebenfalls ein für Myconius und vermutlich auch ein für Johannes Gast bestimmtes Exemplar überbracht hatte; s. Nr. 3156,1; Nr. 3163,1-3.
4 Herkules. - Wohl in Bezugnahme auf das Titelblatt von Bullingers Werk, auf dem unter Anspielung auf die Aufgaben des Herkules die Schilderung des Wirkens des Apostels Paulus angekündigt wird; s. Bullinger, Series et digestio temporum, f. al,r.
5 Gemeint ist die tabellarische Darstellung der in der Apostelgeschichte von der Auferstehung Christi bis ins Jahr 70 n. Chr. verzeichneten Ereignisse; s. Bullinger, aaO, a2v.-a3r.


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Perge igitur, mi doctissime Bullingere, talibus muneribus ecclesiam augere et ornare istumque vestrum praeclarum iuvenem aetate, doctrina vero et prudentia senem Gvalterum, compatrem et fratrem et sacrum collegam, hortari, ut et ipse nobis quottidie aliquid tale excudat, cuiusmodi Antichristus 6 eius et hic, quem tuo libello adiunctum 7 ad me misisti, sermo est, in quem si pastores et dei mysteriorum dispensatores 8 intuebuntur, minus in eorum procuratione aberrabunt. De utroque igitur tibi gratias ago.

Sed ut de vestro hoc alumno 9 aliquid scribam: Ego illum humanissime accepi meamque omnem operam et studium obtuli. Verum nescio, quid animi haberet. Postridie eius diei, quo ad me cum Zvinglio 10 venit, abiisse aiunt. Et sunt, qui dicant eum Lutetiam 11 proficisci. Miratus sum equidem non mediocriter adolescentis tam subitam mutationem. Et mihi alioqui bene institutus et satis iam magnas in literis graecis et latinis progressiones fecisse videbatur. e Volui autem te, mi frater et patrone, certiorem facere, ut intelligeres per me non stare, quin ei, qui mihi a te commendantur, sint apud nos in bona gratia et cura.

Acceperam antea tuas humanissimas literas 12 , in quibus iudicium illud tuum de isthoc Augustano de religione colloquio vehementer arrisit. Neque enim aliter futurum puto, nisi dominus horum consilia intervertat.

Hic nihil audio novi. Ex Italia 13 autem Venetos sibi potissimum hunc caesaris 14 apparatum timere. Idcirco illos dictatorem creasse, quod vix etiam in maximo

e videbatur fehlt in der Vorlage
6 Gwalthers "Der Endtchrist"(VD16 W1058- W1062; BZD C361-368) war erstmals im Jahr 1546 gedruckt worden.
7 beigegeben. -Bullinger hatte seinem oben erwähnten Werk offenbar Gwalthers Schrift grec sive servus ecclesiasticus" (VD16 W1127; BZD C391) beigelegt, deren Drucklegung am 17. Februar 1548 abgeschlossen worden war. -Er hatte zudem in seiner an Gwalther adressierten Vorrede selbst vorgeschlagen, die beiden Werke zu einem Buch zusammenzubinden; s. Nr. 3121,[4] mit Anm. 1.
8 Schaffner; s. Kirsch 926.
9 Der oben in Z. 2f erwähnte Student. -Vermutlich hatte sich Bullinger in einem nicht erhaltenen Schreiben nach ihm erkundigt.
10 Huldrych Zwingli d.J. -Auffällig ist, dass Zwingli d.J. mehrfach Studenten von Zürich nach Basel führte; s. Nr. 3124,9 mit Anm. 5.- Möglicherweise handelt es sich daher bei dem in den Abrechnungen zum Zürcher Schulwesen erwähnten "kärli fürer"(Reisebegleiter der Jugendlichen) um Zwingli d.J.; s. Zürich StA,
G II 39.2, Schuljahr 1547-48; SI III 462 s.v. Kerli.
11 nach Paris.
12 Nicht erhalten. - Offensichtlich hatte sich Bullinger über die Interimsverhandlungen auf dem Augsburger Reichstag geäußert. Zuvor hatte er Ende Januar 1548 von Johannes Gast gerüchteweise erfahren, dass neben Martin Bucer auch Philipp Melanchthon und Johannes Brenz an den Beratungen teilnehmen würden. Vor dem 18. Februar 1548 hatte er die Verhandlungen ebenfalls in einem nicht erhaltenen Schreiben an Ambrosius Blarer angesprochen; s. Nr. 3120,30-32; Nr. 3142,18f.
13 Laut Myconius' Brief vom 29. Februar 1548 hatte Curione bereits im Februar Briefe aus Italien erhalten, denen zu entnehmen war, dass Philipp II. von Spanien entgegen kursierenden Gerüchten noch nicht in Genua eingetroffen war; s. Nr. 3152,1f.
14 Karl V. - Laut einiger Gerüchte plante der Kaiser, seine Landsknechte durch die Gebiete der Venezianer nach Italien ziehen zu lassen.


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discrimine et trepidatione soient. Qui ex Italia veniunt, affirmant inter papam 15 et caesarem inducias esse idque v || eius rei signi esse, quod papa militum magnam partem et praesidiorum, quae Parmae et in aliis urbibus habebat, dimisisse.

Quodsi tu aliud habes, cumprimum ad me scribes, nobis significabis.

Vale felix, mi pater, et deum pro nobis ora. Basileae, 12. calendas aprilis 1548. Saluta familiam tuam nostrae nomine et simul d. Bibliandrum, qui et ipse novum dedit opus 16 , et d. Gvalterum et alios. Tuus ut semper Caelius S. subscripsit.

[Adresse darunter:] Clarissimo ecclesiae Tigurinae antistiti doctorique sapientissimo et pastori vigilantissimo d. Henricho Bullingero, amico et patrono observandissimo. Tiguri. 17