[3192]

Johannes Blasius
an Bullinger
Chur,
Montag,
23. April 1548

Autograph: Zürich StA, E II 365, 63 (Siegelspur) a Druck: Graubünden, Korr. I 124f Nr. 96

[1]Der Klostervogt [Anton Jenatsch]der Churer Schule [St. Nikolai]wurde von den Churern nach Zürich geschickt, um dort einen Ersatz für den vor Kurzem entlassenen Unterlehrer [NN] zu finden. Er führte den [ehemaligen]Zürcher Stipendiaten Jakob Keller [aus Regensberg] mit sich zurück, den die Churer aufgrund seiner Eignung und seines einwandfreien

c Textverlust durch Papierverlust. -
a Mit Schnittspuren.
29 Gemeint ist der bei Bartholomäus Westheimer 15 [46] in Basel erschienene Druck "M.T. Ciceronis libri III. de officiis, fide vetustissimorum exemplarium, recogniti atque restituti [.1"(VD16 ZV3487 ). Diese Annahme wird dadurch begründet, dass Bullinger in seinem am 24. August 1548 verfassten Schreiben an Oswald Myconius (Zürich StA, E II 342, 197) und ein weiteres Mal am 7. September 1548 (Zürich StA, E II 342, 199) darum bat, Gast auf die Beschädigungen jenes Exemplars hinzuweisen, das Bullinger mit dessen Brief vom 8. Mai 1548 (Zürich StA, E II 366, 182. 186) erhalten hatte; Gast hatte zuvor nicht auf entsprechende, brieflich geäußerte Beanstandungen reagiert. Die Angaben, die Bullinger bezüglich der beschädigten Lage macht, stimmen exakt mit dem Druck von Westheimer überein. Gast ging jedoch erst am 28. August 1548 (Zürich StA, E II 366, 183) auf Bullingers Beschwerde ein und begründete
dabei sein Schweigen zu Bullingers Reklamation mit Westheimers Abwesenheit. Hintergrund des Buchkaufs war sicherlich, dass Westheimer, der im Jahr 1547 seine Druckerei geschlossen und eine Pfarrstelle in Mülhausen (Elsass) angenommen hatte, am 21. April 1548 sein Basler Haus samt Druckereieinrichtung verkaufte und vorher sicherlich alte (und anscheinend auch beschädigte) Restbestände auf dem Basler Buchmarkt feilbot; s. HBBW II, Nr. 67 Anm. 1; Reske 2 77. 80f. -Im Impressum des genannten Drucks steht in römischen Ziffern die Jahreszahl 1566. Da aber Westheimer seine Druckerei wie erwähnt nur bis 1546 betrieben hatte, ist bei der Jahreszahl von einem Fehler des Setzers auszugehen, der wohl statt MDXL VI die Jahreszahl MDLXVI setzte.
30 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war Gasts Schwager Johann Georg Grünblatt; s. oben Z. 15.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Benehmens gern anstellten. Sie waren sich dabei völlig sicher, dass dies im Einvernehmen mit Kellers Vater [NN.]und den Zürcher Schulvorstehern geschehen war. -[2]Nun aber haben sie von Werlin Herus [Heer?]erfahren, der auf seiner Rückreise von der [Frankfurter Frühjahrs]messe [in Zürich Halt gemacht hatte], dass Keller ohne Wissen seines Vaters und sogar gegen den Willen der Zürcher Schulherren (ohne Abschied zu nehmen) geradezu geflohen ist! Das war den Churern sehr unangenehm. Sie forderten Keller auf hierzu Stellung zu nehmen und erhielten von ihm als Antwort, dass sein Verhalten gut begründet gewesen sei und er dies seinem Vater sowie den Schulherren mitteilen wolle. Er hoffe nämlich, dass diese seinen Fortgang aus Zürich im Nachhinein billigen werden, sobald sie begreifen, dass er sich zu rechtgläubigen und guten Leuten begeben hat, die ihn gut behandelt und ihn mit einer nützlichen und ehrenvollen Lehrstelle betraut haben - ein Amt, bei dem er sich nicht nur weiter ausbilden, sondern auch Vorlesungen zur klassischen Literatur hören kann. -[3]Bullinger soll den Churern daher mitteilen, wie es um das Einverständnis des Vaters und der Zürcher steht, und sich dafür einsetzen, dass Keller einige Zeit als Unterlehrer in Chur (wo man seine Dienste gut gebrauchen kann) tätig sein dürfe. Das jedoch nur, wenn Kellers Vater und die Zürcher Schulherren damit einverstanden sind! -[4]Bullinger möge mit seinem Antwortschreiben auch Neuigkeiten übermitteln. -[5]Die Churer danken Bullinger für sein hervorragendes Werk "Series et digestio temporum", das für das Evangelium von großen Nutzen ist. -[6]Segenswünsche und Grüße. In Eile.

Jo. Bias. d. Bullingero suo S.

Posteaquam iusta de causa e ludo nostro nuper hyppodidascalon 1 unum reiecimus, vir in domino colendissime, in cuius locum alium ut inquireret, Tigurum misimus oeconomum 2 cenobii 3 nostri. Is nobis tandem lacobum Celarium 4 e vestro collegio adduxit, quem ut huic provincie aptum, itidem optimis moribus praeditum recepimus

1 = hypodidascalum: Unterlehrer; s. Kirsch 1387. -Der Name des entlassenen Churer Unterlehrers ist unbekannt; vgl. Traugott Schieß, Zur Geschichte der Nikolaischule in Chur während der Reformationszeit, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungsund Schulgeschichte XIII, 1903, S. 131.
2 Dass hier Anton Jenatsch gemeint ist, der im Mai 1548 als Klostervogt nachzuweisen ist (s. HBBW XX, Nr. 3093, Anm. 1), ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Einerseits ist Jakob Kellers Ankunft in Chur in Begleitung jenes Klostervogtes einige Tage nach dem 15. Februar 1548 anzusetzen; s. Nr. 3156, Anm. 7. Andererseits hatte Jenatschs Vorgänger, Wolfgang Salet, bereits Anfang 1547 das Amt des Klostervogtes nicht mehr inne. Dies geht aus Francesco Negris Buch "Rhetia"(VD16 N465) hervor, welches dem Kolophon zufolge im Januar 1547 bei Johannes Oporin in Basel erschienen war. Dort, auf f. c2r.-v., wird der
ehemalige gelehrte "moderator" (Vogt) der Churer Schule, Wolfgang Salet, gelobt, und dabei erfährt man, dass dieser unterdessen das ihm übertragene Amt eines "Praesul" am Hofe [des Chuter Bischofs Lucius her] bekleidet hat: "Hic [i.e. Curae] non minus est studiorum cura bonorum II Ut pueri ac juvenes instituantur honestis / moribus et varus doctrinis [.1 /Publicus his [i.d. pueris] aliquis docta pietate piaque /Doctrina insignis semper moderator adhaeret, /Qualis erat dudum doctus Salletta, priusquam /Munus adinjunctum scandisset Praesulis aulam."
3 St. Nikolai. - Zur Schule, die dort 1539 eingerichtet worden war, s. Schieß, aaO.
4 Jakob Keller, der Bullingers Aufzeichnungen über die Zürcher Stipendiaten zufolge aus Regensberg (Kt. Zürich) stammte; s. Zürich ZB, Ms Car C 44, 924, Nr. 41; Ms F 95/1, Nr. 41. - Er hatte zwischen dem 15. und dem 22. Februar 1548 sein Studium in Zü


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nihil interea dubitantes, quin et parentis 5 eius et scholiarcharum 6 consilio et consensu factitatum sit, etc.

Nunc vero ipsum contrarium rediens e mercatu 7 proximo Werlinus Herus 8 nobis retulit, nempe eundem inscio parente, insalutato hospite nec non et d. scholiarchis id negantibus quasi aufugisse, etc., quod satis moleste omnium gracia percepimus. Atque nobis huius facti racionem ab eo postulantibus respondit se optimam ac iustam abeundi causam habuisse, quam cum patri tum etiam suis reverendis dominis scripturum dixit sperans - cum pater atque domini capitulares ipsum ad viros optimos (qui cum sint eiusdem, hoc est vere ac orthodoxe religionis) b se contulisse c intelligent (qui eum benigne receperint summaque humanitate tractarint ac utili honestoque muneri prefecerint, quo se non tantum in literis exercere potest, verum eciam optimos

b Dieses und das folgende Klammerpaar ergänzt. -
c In der Vorlage contulerit.
plötzlich abgebrochen und sich fluchtartig nach Chur begeben. Gegen Ende des Sommers 1548 (aber noch vor dem 19./22. September - s. dazu weiter unten) ließ er sich (als 53. Student von insgesamt 76 Studenten) in der Basler Matrikel unter dem Rektorat von Ulrich Iselin (1. Mai 1548 bis 31. April 1549) eintragen. Dass es sich dabei um Jakob Keller aus Regensberg handelte, und nicht um jenen Jakob Keller aus Winterthur -wie dies fälschlicher Weise im entsprechenden Kommentar der Ausgabe von der Basler Matrikel behauptet wird -geht zum einen aus der Tatsache hervor, dass der nach Chur geflüchtete Keller erneut seit Fronfasten der Kreuzeserhöhung ("Crucis") 1548 (d. h. seit dem 19. September) bis Fronfasten der Kreuzeserhöhung 1550 (d.h. am 17. September) ein Stipendium bezog, Jakob Keller aus Winterthur jedoch im Gegensatz zu seinem Namensvetter aus Regensberg kein Zürcher Stipendiat gewesen ist. Aus der zweiten oben erwähnten Aufzeichnung Bullingers über die Zürcher Stipendiaten (Ms F 95/1, Nr. 41) und der Toggenburger Chronik, 178. 189, erfährt man zudem, dass jener Jakob Keller aus Regensberg Pfarrer an der Kirche Burg in Stein am Rhein (Kt. Schaffhausen) und anschließend Pfarrer in Hemmberg im Toggenburg (Kt. St. Gallen) wurde. Bullingers Urteil zufolge soll er nichts getaugt haben. Er ist 1582 als Pfarrer von Frauenfeld gestorben; s. Nr. 3156, Anm. 7;
M-Basel 60, Nr. 53; Studentenamtsrechnungen der Jahre 1547/48, 1548/49, 1549/50 und 1550/5 1 in Zürich StA, G II 39.2; s.a. Bächtold, Rat 71 und Anm. 66.
5 Kellers Vater ist unbekannt.
6 Mit den Schulvorstehern von Zürich sind wohl u.a. der Schulherr Johann Jakob Ammann, der Schulverwalter Heinrich Nüscheler wie auch wahrscheinlich die Examinatoren (zu denen Bullinger gehörte) gemeint; s. HBBW XIV, Nr. 1832, Anm. 7; XV, Nr. 2165 mit Anm. 3.
7 Möglicherweise ist die Frankfurter Frühjahrsmesse gemeint, die im Jahr 1548 etwa vom 3. bis zum 25. März stattfand; s. Nr. 3163, Anm. 4.
8 Vermutlich ist hier ein Werlin Herus (Heer?) gemeint. Dieser war anscheinend ein Händler aus Chur. Dessen Bezeichnung als "noster vir consularis", die Blasius in seinem Brief vom 26. Juni 1548 (Graubünden, Korr. I 124f Nr. 96) für ihn verwendet, deutet daraufhin, dass er einmal ein politisches Amt (das Bürgermeisteramt?) versehen hat. Für Chur lässt sich dies jedoch nicht nachweisen; s. Ursula Jecklin, Die Churer Bürgermeister/Stadtpräsidenten, in: Bündner Monatsblatt: Zeitschrift für Bündner Geschichte, Landeskunde und Baukultur, 1988, S. 230; vgl. auch Graubünden, Korn III Reg. - Herus' Rückreise aus Frankfurt erfolgte anscheinend über Zürich.


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audire authores) -ipsos deinde abitum eius boni consulere et eius proposito votis omnibus assentire, etc.

Tuum ergo fuerit, observandissime Bullingere, nobis hac de re, utut se habeat, significare. Proinde, si comode 9 fieri posset (assenciente 10 patre cum dominis scholiarchis), fac, quo nobis per aliquot tempus inservire posset 11 , quandoquidem modo eius opera opus habemus. Sin minus, et id significato. Nam institutum nostrum non est, quicquam contra eius parentis voluntatem nec contra dominos scholiarchas agere, etc. 12

Et si quid rerum novarum habes, insere tuis desideratissimis literis.

Agimus tandem humanitati tue ingentes gracias pro elegantissimo ac sanctissimo opere tuo, cui inscripsisti ac clarissime ipsissimam Seriem rerum et temporum)13 Non sine ingenti evangelii fructu ostendisti!

Dominus noster te semper ad sanctiora ascendentem conservare dignetur. Amen. Raptim, Curie, 23. aprils, anno 1548. Idem tuus ex intimis.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo theologo d. H. Bullingero, Tigurine ecclesiæ pastori vigilantissimo, domino ac fratri suo in primis colendissimo, etc.

9 = commode.
10 = assentiente.
11 Subjekt ist Keller.
12 Die Zürcher bzw. Kellers Vater sollten auf dessen Rückkehr nach Zürich bestehen, weshalb die Chuter diesen seines Amtes wieder
entheben und durch einen unbekannten jungen Mann aus der Umgebung Churs ersetzen sollten; s. Zürich StA, E II 365,64f. Wa.
13 Gemeint ist Bullingers Werk "Series et digestio temporum"(HBBibl I 176; VD16 ).