[331]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
28. Februar 1534

Autograph: Zürich StA, E II 343, 53 (Siegelspur) Gedruckt: Füssli I 119-121 (Nr. 32); Corr. des réformateurs III 145-147

Zwei Angelegenheiten will Myconius nicht noch länger für sich behalten: 1. Solange die Zürcher den Geheimen Rat nicht wieder einführen, kann niemand etwas für sie tun. Dieses Instrument wäre dringend nötig, Bullinger soll darüber mit [Hans Rudolf]Lavater reden. - 2. König [Franz I.] von Frankreich sei dem Evangelium nicht feindlich gesinnt, hörte Myconius von einem evangelischen Edelmann, nur müsse es der König vor den katholischen Kirchenfürsten seines Landes verheimlichen. Dieses Wohlwollen

43 Anton Noll, aus Bern, 1505 Mitglied des Großen und seit 1525 des Kleinen Rates, vertrat Bern wiederholt an den eidgenössischen Tagsatzungen. Zusammen mit Niklaus Manuel war er 1528 das erste vom Rat abgeordnete Mitglied des neu geschaffenen Ehegerichts. Schon früh gehörte er zu den engagierten Verfechtern der Reformation in Bern. Als Haller im Januar und Februar 1530 in Solothurn predigte, begleitete ihn Noll im Auftrag des Rates. - Lit.: ABernerRef, Reg.; Anshelm, Reg.; EA IV/Ia und IV/Ib Reg.; Z VIII 327, Anm. I; LL XIV 150f; HBLS V 308.
44 Über den Sohn Anton Nolls ist sonst nichts bekannt.
45 Nicht erhalten.
46 Diethelm Röist war für Haller wie auch für Bullinger schon früher der geeignete Vermittler, um eine Verbesserung der seit der Kappeler Niederlage gestörten Beziehungen zwischen Zürich und Bern herbeizuführen, s. HBBW II 32, 33-35. III 269, 74-79.
47 Heinrich Rahn hatte sich als diplomatischer Vermittler im Konflikt um Musso 1531/1532 sowie in den Solothurner Religionsstreitigkeiten im Herbst 1533 bewährt (s. HBBW III 233, 27f mit Anm. 25). An Stelle der von Haller erhofften Röist und Rahn waren Rudolf Stoll und Johannes Haab in Bern; s. oben Anm. 24.
48 verläßt sich, glaubt (SI XIV 1592).
49 sagt.


Projektseite
Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
Briefe_Vol_04_0074arpa

zeigten die Verzögerung der von [Noël]Béda gewünschten Hinrichtung von vier Evangelischen in Paris und die vom König an die eidgenössische Tagsatzung gesandten Büchlein, die jetzt in Frankreich frei gelesen würden; das erzählt auch der Gehilfe des aus Paris eingetroffenen Buchhändlers Konrad Resch. Myconius bittet um Bullingers Meinung. Grüße.

S. Duo sunt, quae non potui diutius continere, quantumvis ocium desit.

Alterum, quod nuper ex me 1 , nunc ex capite illo nostro 2 scribo de senatu clanculario 3 , ut ita vocem. Audio flanque, quod dum hoc carueritis, nihil boni potest agi vobiscum a quoquam. Si haberetis, innumera esse, quae ultro citroque acta non possent non prodesse plurimum. Quamobrem si ratio posset inveniri, ut ille restitueretur, video, quantum rebus nostris provideretur. Illud compertum habeo, malis nihil esse magis adversum. Audivi, dum isthic commorarer, qui 4 dicebat: «Abeant in malam crucem 5 primores nostri cum senatu isto. Vir bonus non est securus in propriis aedibus.» Expende, quid hic dixerit. Cum Lavatero sunt haec conferenda, cum quo prius etiam collata sunt, si queat inveniri, quod reipublicae vestrae commodet.

Alterum est de rege Gallorum 6 . Pridie quam haec scriberem, colloquutus sum cum viro 7 nobilitate generis et professionis evangelicae praestante. Inter alia de Gallo fecimus mentionem. Tum is fere ad hunc modum: «Quae rex agit, non omnes norunt. Illud certum est apud me, ipsum non male velle evangelio et hoc, dum dissimulat, non ob aliud dissimulare, quam quod aliter nequit propter regni sui pontifices. Sine vero, ut obtineat Italiae partes, quas cupit. Videbis, quid amiciciae sit remansurum cum papa 8 et papistis. Quod dico, probavit abunde iam in quatuor iis, quos apud Parrhisios captivos tenuerunt et adhuc tenent propter evangelium 9 . Nam hos, dum Beda 10 vellet incendio tradere, hactenus servavit. Tum coegit Bedam, ut privatim cum eis congredi oporteret et insciciam suam ostendere, quod et ei cessit in magnam ignominiam. Pessime enim nugas suas ad scripturas dei adhibuit.»

1 Siehe oben S. 60, 49-51.
2 Gemeint ist möglicherweise die Ansicht von Bürgermeister Jakob Meyer.
3 Der nach dem Zweiten Kappelerkrieg abgeschaffte Geheime Rat von Zürich, s. HBBW III 243.
4 Unbekannt.
5 «Sollen zum Henker...!», vgl. Otto 95, Nr. 447.
6 Franz I.
7 Unbekannt; möglicherweise handelt es sich um Antoine Morelet de Museau.
8 Clemens VII.
9 Von den hier erwähnten vier eingekerkerten Evangelischen sind drei bekannt: Gérard Roussel, Elie Coraud und Bertaut, s. Corr. des réformateurs III 146, Anm. 2.
10 Noël Béda (Bédier), ca. 1470-1537, Doktor der Theologie an der Sorbonne 1508, Direktor des berühmten Collège de Montaigu in Paris seit 1504, dessen Leitung er bis 1535 in Händen hielt; seit 1520 beherrschte er die ganze theologische Fakultät.
Er bekämpfte Lefèvre d'Etaples und Erasmus u. a. und wurde zum gefürchteten und gehaßten Hauptgegner bzw. Unterdrücker aller humanistischen und reformatorischen Bewegungen in Paris. Übertreibungen führten zu seiner Exilierung 1533. Nachdem er zurückgerufen wurde, kämpfte er 1534 weiter, griff die königlichen Lektoren an und erreichte, daß diesen der Gebrauch der Bibel in hebräischer und griechischer Sprache verboten wurde. 1534 erneut verhaftet (s. unten S. 120, Anm. 31), wurde er wegen «Äußerungen gegen der König und die Wahrheit» am 31. Januar 1535 öffentlich degradiert (amande honorable). Immerhin hielt er sich 1536 noch im Collège de Montaigu auf, wo er auch Stipendien verteilte. Er starb wahrscheinlich im Exil in Mont-Saint-Michel. - Lit.: Farge 31-36, mit Lit.; La Grande Encyclopédie, Bd. V, Paris o. J., S. 1124; Contemporaries I 116-118.


Briefe_Vol_04_0075arpa

Tum et libelli 11 , quos pridem misit ad Foederatorum comitia rex, impune habentur et leguntur in Galliis, quod nudiustertius dixit famulus 12 Conhardi Restii 13 , bibliopolae, ex Parrhisiis veniens. Iudica, mi amantissime Bullingere, quid hoc sit, an fides rei sit habenda necne. Putant quidam hac de causa Hesso et quibusdam civitatibus, quae hactenus fovent evangelium, cum rege convenire 14 . Nolui, ut hoc nescires.

Vale et fratres omnes saluta in domino.

Basileae, pridie kalendas martii anno 34.

Os. Myconius tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, apud Tigurinos primario, fratri observando suo.

11 Welche «Büchlein» gemeint sind, ist nicht mit Sicherheit feststellbar. In Bourrilly/Weiss 227 wird zu dieser Briefstelle (aus Corr. des réformateurs III 146) bemerkt, daß Guillaume du Bellay Anfang 1534 eine kleine Abhandlung über die Konzilsfrage im Interesse einer Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten verfaßt habe, die sowohl in Paris als auch im Ausland frei herumgeboten worden sei: «Lectres escriptes aux estats d'Alemaigne ... pour advertir du concile»; dazu wird freilich bedauert, daß das Werk «jetzt» (1903) unauffindbar sei. - Gegen die Verfasserschaft du Bellays spricht jedoch, was die Botschafter Frankreichs der Eidgenössischen Tagsatzung in Baden am 10. Februar 1534 mitteilten, nämlich: «... daß einige Büchlein in französischer Sprache erschienen seien unter dem Schein, als wären sie mit Wissen und Willen des Königs von seinen Doctoren zu Paris ausgegangen und gedruckt worden. Dieselben seien aber von einem Ungenannten verfaßt und zu Wälsch-Neuenburg gedruckt und werden weithin verbreitet, was den König und seine Doctoren zum höchsten kränke; die Eidgenossen, die früher jene Grafschaft inne gehabt und auf des Königs Bitte der Herzogin von Longueville wieder übergeben haben, möchten nun an dieselbe schreiben,
evangelii praeconi daß sie die Verleger dieser Büchlein verhafte, um sie nach Verdienen bestrafen zu können» (EA IV/IC 271 k). Ganz im selben Sinne schrieb der Botschafter Louis Daugerant, seigneur de Boisrigaut auch an den Genfer Rat am 20. Februar 1534 und erwähnte dabei die Schrift «la Confession de maistre Noel Béda», betonte jedoch, daß sie nicht von Beda, sondern von einem unbekannten Franzosen verfaßt und in Neuenburg gedruckt worden sei (Corr. des réformateurs III 142-144).
12 Unbekannt.
13 Konrad Resch (Rösch, Rets, Restius), geb. in Kirchheim am Neckar, studierte 1510 in Tübingen, war seit 1515 Universitätsbuchhändler in Paris, Bürger von Basel 1522, Buchführer in Basel 1524-ca. 1545; mit Thomas Platter, Glarean, Erasmus, Amerbach etc. stand er in reger Verbindung, am 8. März 1519 übermittelte er auch einen Brief von Beatus Rhenanus an Zwingli (Z VII 144. 148). - Lit.: Grimm, Buchführer 1391-1393; Amerbach, Korr. II 44, Anm. I und Reg.
14 Philipp von Hessen traf sich Ende Januar 1534 insgeheim mit Franz I., wie Myconius Bullinger bereits mitgeteilt hat, s. oben S. 60, 63. 64, 5-7; zu den Kriegsvorbereitungen vor der Wiedereinsetzung Herzog Ulrichs von Württemberg s. Wille 145-171.