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[ULRICH STOLL] AN
BULLINGER
Rheineck,
30. Juni 1531

Autograph: Zürich StA, A 230, 1, Nr. 159 a 1/3 fol. S., sehr gut erhalten, mit Siegelspur Gedruckt: ASchweizerRef III 821

Meldet, daß die Lage im Rheintal äußerlich ruhig sei, im geheimen jedoch rege politische Aktivität herrsche, namentlich in Feldkirch.

Frid und gnad vonn gott.

Lieber M. Heinrich, wüssend a min gessuntheit 2 und gegen üch min willig dienst zu aller zitt. Und füg üch zu wüssenn 3 das es gantz still ist jetz by uns, aber fill bratick 4 lofft allennhalb umm; denn ich hab min spech 5 uff jetz fergangen suntag 6 zu Feldkilch gehebt, da ist merckt xin, wie dan fill frömdfolcks da hinn kumpt, da hand sy 7 fonn stund an 8 botschafft 9 gehann. Möcht ich

a darüber in der Ecke des Briefes alte Foliozahl: 330 oder 336.
1 Ulrich Stoll (genannt Seebach), um 1480-1542, seit 1510 Zwölfer bei den Zimmerleuten, 1521 Kriegsrat beim Zürcher Heer im Dienste Leos X., seit 1523 Zunftmeister, 1528 Pfleger in Bubikon. Er begleitete Zwingli mit einer Zunftdelegation auf dem Weg zur Berner Disputation und ermöglichte ihm mit 50 Mann den von den Katholischen verwehrten Durchzug durch Bremgarten. 1529 führte er ein Fähnlein an, das in Muri und Bremgarten die Evangelischen schützen sollte. Häufig wurde er als Verordneter eingesetzt, mehrmals im Zusammenhang mit Zürichs Reformationsplänen in der Ostschweiz. Seit Ostern 1531 wirkte er als Verweser des Landvogts im Rheintal (s. Theodor Frey, Das Rheintal zur Zeit der Glaubensspaltung, Diss. phil. Freiburg/Schweiz, Altstätten 1946, S. 166ff), von 1532 bis 1534 als Landvogt in Sargans. Stoll gehörte als absoluter Anhänger Zwinglis zu den führenden Männern der Zürcher Reformation, s. Jacob 270-272; HBLS VI 564. — Ulrich Stoll läßt sich zweifelsfrei als Absender unseres Briefes ermitteln, einerseits auf Grund seiner Handschrift (vgl. u. a. Zürich StA, A 230, 1, Nr. 188), anderseits weil er am 17. Juli 1531 Zwingli in ähnlicher Weise berichtet (Z XI 533-535) und sich auch in anderen Briefen als Schwager Zwinglis bezeichnet (z. B. Z XI 535,8; 563,24).
2 wißt, daß ich gesund bin.
3 Nachricht von etwas geben (SI I 702).
4 Machination, Anschlag, Intrige, Umtrieb (SI V 568f). Zur Sache s. Frey, aaO, S. 169ff und unten Anm. 7.
5 Späher, Kundschafter (SI X 78). Im Brief an Zwingli vom 17. Juli 1531 nennt Stoll Hans Wiederkehr als Kundschafter in Feldkirch (Z XI 533,2), dieser war ihm als Überreuter beigegeben, s. Z XI 429, Anm. 2.
6 25. Juni 1531.
7 Es ist nicht klar ersichtlich, wer mit dem «sy» gemeint ist. Im erwähnten Brief an Zwingli berichtet Stoll: «Also sind dem hernn von Tobel am selben sontag [25. Juni 1531] brieff zukomen, aller brichtt, wie es zu Bremgarten dess ersten tags gangen etc. Da rechnend ir, in was il ab dem tag er alle andre kontschaft hab» (Z XI 533,4-7). Wahrscheinlich meint Stoll auch in unserem Brief, daß die Fünförtischen stets Boten in Feldkirch haben, die Mark Sittich von Hohenems mit Nachrichten versorgen, besonders über die wichtigen Verhandlungen zwischen Zürich und Bern sowie den V Orten in Bremgarten (vgl. EA IV/1b 1034ff); in Z XI 533, Anm. 5 wird «dess ersten tags» fälschlicherweise auf die am 11. Juli beginnende Tagsatzung in Bremgarten bezogen, was zeitlich unmöglich ist.
8 von diesem Augenblick an, sogleich (SI XI 1055).
9 Gesandtschaft, Abordnung (SI IV 1905).


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
Briefe_Vol_01-204arpa

lidenn 10 , das es M. Urchy 11 , mim liebenn schwager 12 von üch wurd angezögt 13 , den der tüffell ist unrüwig.

Datum uff fritag nach Peter Pally im 31. jar, zu Rineg 14 .

Machend fast 15 an der kronneg 16 .

Grützenn mir her schulthes Mutschly 17 , üwer her fater 18 , wer üch lieb seyg und min her apt b 19 und pryger 20 zu Kapell, all lieb brudernn in got, amen etc. In ill, in ill.

[Adresse auf der Rückseite:] An Meister Heinrichen Bullinger, bredicant in Bremgarten, minem in sunder lieben herenn und fründ.

b apt am Rande nachgetragen.
10 es wäre mir recht, gedient.
11 Huldrych Zwingli.
12 Die genaue verwandtschaftliche Beziehung zwischen Stoll und Zwingli ließ sich nicht feststellen.
13 gemeldet (Grimm I 524).
14 Rheineck (Kt. St. Gallen), Sitz des Landvogtes, s. HBLS V 606f.
15 eifrig (SI I 1111).
16 Chronik (SI III 831). Die chronikalische Arbeit Bullingers ist erhalten: «Gemeiner Eydgnosschafft deß grossen und allten pundtes in ohren dütschen landenn harkummen, allte geschichten und trüw besondere und gemeine thaten, mitt kurtzer und warhaffter histori durch H. B. beschryben», Zürich ZB, Ms A 47; s. HBD 20,4f und Hans Georg Wirz, Heinrich Bullingers erste Schweizerchronik, in: Nova Turicensia. Beiträge zur schweizerischen und zürcherischen Geschichte, Zürich 1911, S. 235-290.
17 Hans Mutschli, gest. 1532, aus altem Brerngartner Geschlecht, war ein überzeugter Anhänger der Reformation und als Schultheß die treibende Kraft der Verbindung Bremgartens mit Zürich, er starb bald nach der Rekatholisierung der Stadt, s. ASchweizerRef IV 1187; HBRG 1439; II 160; III 165. 246f. 255. 262f. 2661. 308.314; Bucher 108.171.175 u. ö.; s. noch die Briefe Mutschlis an Bullinger vom 4. März und 11. Juni 1532.
18 Dekan Heinrich Bullinger, s. oben S. 134, Anm. 171.
19 Wolfgang Joner, s. oben S. 48f, Anm. 4.
20 Prior (vgl. SI V 302) Peter Simler, s. oben S. 531, Anm. 2.