[644]

Die Pfarrer von Schaffhausen an
die Pfarrer von Zürich
Schaffhausen,
6. September 1535

Autograph von Erasmus Ritter: Zürich StA, E II 337, 108r.-v. (Siegelspur) Gedruckt: QGTS II 100-102

Als das Schreiben der Zürcher eintraf, hatten sie eben beim Rat das Gerichtsverfahren [gegen den täuferischen Goldschmied Lorenz Rosenbaum]beantragt, denn eine Disputation war ihnen nicht bewilligt worden. Ihre Klage richtete sich gegen die Vorwürfe, sie lehrten falsch, vertrieben fromme Christen, deuteten biblische Worte willkürlich und eigennützig und seien zudem an der Disputation überwunden worden. Rosenbaum hat für die Rechtfertigung seiner Vorwürfe eine Woche Zeit. Mit Bürgermeister Hans von Waldkirch, der sich weiterhin parteiisch und feindselig verhält, hatte Erasmus [Ritter] einen heftigen Auftritt, als ihnen der Rat verbot, die Angelegenheit auf der Kanzel zu erwähnen.

Gnad und frid von gott.

Getrewen, lieben bruder, eur freuntlich und trostlich schriben 1 ist uns uff hütt dato, wie mir uff dem rathuß gwesen 2 , uberantwort. Habent sollichs lut sines inhalts verstanden. Aber mir hattent a schonn umm recht angerüfft 3 ; dan uns ist von unseren herren 4 das offen gspräch abgschlagen, ursach 5 sy erkhennent unser ler recht sin, darum wurd es schimpflich sin, das man darum erst solte disputieren. So ist uns sunst khein gsprech anzunemen gwessen mit dem

22 Wortspiel auf Haller.
a hattent korrigiert aus habent.
1 Nicht erhalten.
2 Zum Streit der Schaffhauser Pfarrer mit dem täuferischen Lorenz Rosenbaum vgl. oben Nr. 634, bes. Anm. 7 und 17. Nachdem der Vermittlungsversuch einer Kommission
(vgl. ebd., Anm. 12) gescheitert war, wurde am 4. September ein Verhör der beiden Parteien auf den 6. September 1535 vor dem Rat anberaumt (vgl. QGTS II 98). Von diesem Verhör liegt ein Protokoll vor (ebd., S. 99).
3 das Gericht angerufen, geklagt (vgl. SI VI 254).
4 vom Rat von Schaffhausen.
5 weil.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
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goltschmid 6 ; dann er hat linguam virulentissimam, und wer zu pesorgen gwesen, wa mir im gsprech uns mit aim schmachwortlin hetten lassen merckhen, das es uns demnach hette im rechten ein hindernuß pracht, dann man glich hette gesucht ein öbenhohe 7 und gsprochen: "Si hand in eben als hoch als 8 er si gescholten; gand b heim und send 9 zu paiden syten hüpsch c10 ." Darum mir schlechtlich 11 recht hand angerufft umm die schmachred, so er dem wort gottes und unserem ampt hatt zugeredt, unser person gantz hindan gesetzt, wiewol mir desshalb wol zu klagen hetten umm viler schmachwort halben. Aber soverr und er allain hette, wolten mir khain recht gesucht han, mir hetten dann das not halben nitt empören 12 mögen, und ob uns not wurde sin, wellen mir dasselb ouch vorpehalten hand. Aber umm die nachvolgenden artickhel klagen mir uns, rieffent ouch das recht an, das er sollichs uspring 13 dem rechten genugsam. Ob dann das peschech, mustent mir witter erwartent, was unsere herren darin handleten. Wo aber das nit, syen mir hoffnung, das er unserer ler und unserem ampt soll aberwandt 14 thun, dann unser person halb pegerent mir gar khain rach, mir mögent sinen dan nit empören.

Die artickhel: 1. Unser ler sye falsch und ungerecht. Das welle er mit gots wort uspringen. 2. Alle die, so ein christlich, frum leben pegeren zu fieren, die verjag und vertrib man. Da hat im ainer geantwort: "Wann ich frumklich lebte, so hette ich guten platz. Ich gieng dahinin in die statt, ouch da hinuß gen Zurich." Hat er geantwort: "Wann ainer so frumm lebte als sant Petter und Paul, so liessent in die predicanten nit peliben." 3. Mir marteren die wörtlin, und wenn es ann die warheitt khumm, so uberspringent mirs umm unser buchs und nutz willen.

Die antwurtt dess goldschmids: Hindan gesetzt vil stempany 15 , er hab vermeint, er hab es schon uff d uns uspracht. So vermain er ouch nit, das er mine herren noch die ler gescholten hab, sunder unser person etc. Aber mir sollent darpringent 16 , das mir die gesandten syen, so khum man pald ab der sach 17 ;

b-c von gand bis hüpsch am Rande nachgetragen.
d uff übergeschrieben.
6 Lorenz Rosenbaum (Rosenbom), von Schaffhausen, gest. 1565, war ein berühmter Goldschmied und Münzenschneider. Als Vertreter der Krämerzunft war er von 1535 bis 1539 Mitglied des Großen Rates. Zwischen 1539 und 1546 wirkte er in Augsburg. Er war für zahlreiche Fürstenhäuser im Deutschen Reich und besonders auch für die Familie Fugger tätig. Er starb in Chur an der Pest. — Lit.: M. A. Ruegg, in: Schweizerisches Künstlerlexikon, redigiert von Carl Brun,
Bd. IV, Frauenfeld 1917, S. 372; QGTS II 92, Anm. 1.
7 auf dieselbe Ebene gestellt (vgl. SI II 977).
8 so... wie (SI I 197).
9 seid.
10 gesittet, ruhig.
11 lediglich, nur (SI IX 68).
12 entbehren.
13 beweise (SI V 720).
14 nachträgliche Berichtigung, [Abbitte] (vgl. Grimm I 34 und Alfred Götze, Früneuhochdeutsches Glossar, 6. Aufl., Berlin 1960, S. 2).
15 leeres, unwahres Gerede (SI XI 447).
16 darlegen (SI V 732).
17 von der Streitsache (vgl. SI VII 97f).


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und das thu er allain umm khürtz willen (das hatt er von Waldkilch 18 gwislich; der liset die Zoffinger disputatz 19 , hatt gesterigs suntag ein sextemam 20 ann offnem platz ummtragen), und er welle neut lougnen 21 . Warum mir den fierten artickhel nitt ouch anziechen; dann e er well uns nit lougnen, mir sollent in ouch f anziechen. Derseib luttett, wie mir mit den töufferen disputiert, haben sy uns geschwaigt und uberwunden.

Unser antwurtt: Mir habent clagt wie oben, sien hoffnung, er solle lut der artickel uspringen, thun dem rechten genugsam, und mir syen khain g uspringen schuldig. Wo aber das recht vollendet werde, manglen dan im oder anderen an unser sendung, wollent mir das im, unseren herren oder öffentlich oder vor verordneten personen antwort geben; setzen das zu erkhantnuß dess rechten 22 . Und h diewill er den fierten artickhel selbs peger, wollent mir das selbing gern thun. Ist ouch in die klag verzeichnet i Das gelichen er sin antwort ouch.

Darum luttet die urteil, das maister Lorentz 23 lutt der klag, so die predicanten gethon, all artickhel soll usspringen, dem rechten genugsam, piß uff heutt acht tag 24 . Es geschech dann oder nit, soll witter beschechen, was recht ist. Darum, freuntlichen, lieben bruder, pittent mir euch, ir wellent uns zwischen 25 zukünfftigen gutemtag 26 euren treuen ratt, so es muglich ist, eroffnen. Mir sagent euch hohen danckh umm alle lieb und trew unnd hohens erpietten, und wo mir das notturfftig sin wurdent erfindent, wellent mir uich darum nit unersucht lassen.

Aber dess Waldkilchs halb ist alle sach vergeben; dann er halt sich so partiisch, das es nit genugsam mag erzelt werden. Er ist unser grösserer findt dann der goltschmid. Dann, lieben prieder, ir sollent wissent, das nechst verschinen sambstag k27 nach der gutigen handlung 28 darinn ||108v. usgericht, dann mir pehartendt, das thett er ouch, als mir vemement, wiewol mir uns guetiklich begabent 29 , wann er vor ainem versamleten ratt wolte bekhennen, das er in aller diser rede hette dem wort gottes, unserer ler, ouch unseren personen unrecht l gethon und unser lerr und ampt wer recht und warhafft, wuste ouch

e vor dann gestrichenes unser antwurtt.
f vor ouch gestrichenes Mir.
g vor khain gestrichenes demna.
h-i von Und bis verzeichnet am Rande nachgetragen.
k vor sambstag gestrichenes suntag.
l vor unrecht irrtümlich hette.
18 Bürgermeister Hans von Waldkirch.
19 Handlung oder acta gehaltner disputation und gespräch zu Zoffingen inn Bernnerbiet mit den widertöuffern, geschehen am ersten tag iulii im 1532, Zürich (Christoph Froschauer) 1532. Ediert in: QGTS IV 67-256.
20 eine Lage von sechs Bogen (vgl. SI VII 1517).
21 in Abrede stellen (SI III 1172).
22 zur gerichtlichen Entscheidung (SI III 373).
23 Lorenz Rosenbaum (vgl. oben Anm. 6).
24 Montag, 13. September 1535; die Verhandlung wurde noch um einen Tag, auf den Dienstag, verschoben (vgl. unten Nr. 649, Anm. 6).
25 bis (Grimm XVI 1334).
26 Montag (SI XII 873-875); vgl. oben Anm. 24.
27 4. September 1535.
28 Vermittlung, Schlichtung (vgl. SI II 557).
29 nachgaben.


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von uns nut dann lieb, er und guts m , so wolten mir vernugt 30 sin. Aber die verordneten 31 stundent uff, das mir wol hand vernomen, das er das nit hatt wellen annemen. Darum ein radt witter sich hat erkhentth 32 , das mir soltent an der kanzel still schwigen von disem handel, oder sy woltent mit uns handlen, das uns zu o schwer wurde. Aber deß Waldkilchs parthy hatt uns nebenzu vilfaltig mit lugen usgschrven 33 . Es hatt ouch der lang zunfftmeister 34 , so zu Zurich gwesen, usgeben, Maister Heinrich 35 sy ubel uff uns, das mir so rachgirig syen. Aber mir hand es trostlich 36 widersprochen, wissent wol, das es nit war ist. Wie aber Waldkilch uns die erkantnuß miner herren hatt eroffnet, hatt Erasmus 37 geantwort also: "Wie khumpts, diewill 38 die, die man päbstler nennet, hattentt das regiment in irer hand und si mir verputten, das ich nit solte p von der mesß predigen, do khament die (die villicht jetz nit ein kleini ursach send, das mir das mul verstopft wiert) zu mir und sagtent, wo ich mir ließ das mul verpinden, so were ich nit ein rechter predicant." Da hatt inn der Waldkilch zum dritten mal unverschampt haissent liegen in hals hinin 39 . Und hat aber vorhin q auch ein mal gthon sollichs umm der touffer willen an offnem marckh on alle vorgendi ursach. Do war ein touffer gfangen, sagt Waldkilch, warum mir predicanten nit lugtent 40 , das der gut piderman uskhäm etc. Under anderen worten sagt ich, Erasmus: "Die touffer trungent als wol uff die iusticiam operum als die pabstler." Da hies er mich aber 41 ob dreu oder fier mal liegen in hals uffs grobest, und hat ein gschray, dass sin schwager Urich von Fulach 42 herab us sim huß lieff und in hinweg fuert. Und was doch khein vorgende ursach darzwischen, weder wenig noch vil. Sollichs wellent mir uich nit verhalten; dann der man halt sich so gar partiisch py tag und pi nacht, mit wort und werckhen, das es zu erparmen ist.
m nach guts gestrichenes von uns.
n erkhentt korrigiert aus bekhentt.
o vor zu gestrichenes leid were.
p solte korrigiert aus soltent.
q vor vorhin gestrichenes sollichs.
30 zufrieden[gestellt](SI IV 701).
31 Zur Zusammensetzung der Kommission vgl. oben Nr. 634, Anm. 12.
32 festgesetzt, beschlossen (SI III 313). — Dies geschah offenbar in der Sitzung vom 4. September (vgl. QGTS II 98).
33 mit Lügen in Verruf gebracht (vgl. SI IX 1479).
34 Unbekannt.
35 Bullinger.
36 zuversichtlich, ruhig (SI XIV 1432f).
37 Erasmus Ritter.
38 als.
39 schändlich der Lüge geziehen (vgl. Grimm IV/II 254f).
40 dazu sähen (vgl. SI III 1224f).
41 wieder (SI I 40).
42 Ulrich von Fulach, von Schaffhausen, gest. 1549, Bruder von Hans Wilhelm, war Vogtherr zu Gennersbrunn und Thayngen (beide Kt. Schaffhausen), wurde 1529 Reichsvogt und 1542 Mitglied des Kleinen Rates. In den Jahren 1525-1528, 1531-1535 und 1537-1539 war er Zunftmeister der Herrenzunft. Im "Herrenstubenhandel" 1546 verließ er zusammen mit Bürgermeister von Waldkirch und anderen Adeligen die Stadt und zog vorübergehend nach Rheinau. Seine Frau Beatrix war die Schwester von Bürgermeister von Waldkirch. — Lit.: Karl Schmuki, Steuern und Staatsfinanzen.. Die bürgerliche Vermögenssteuer in Schaffhausen im 16. und 17. Jahrhundert, Diss. phil. Zürich 1988, S. 2051. 485; Hans Oswald Huber's Schaffhauser Chronik, hg. v. C. A. Bächtold, in: [Schaffhauser] Beiträge zur vaterländischen Geschichte 8, 1906, S. 941 und 102; Kindler von Knobloch I 415; HBLS Suppl. 67.


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Darmit send gott pevolhen.

Datum Schaffhusen, 6. septembris 1535.

Die diener der kilchen zu Schaffhusen,

uer brüder.

[Adresse auf f. 109v.:] Den fromen und getreuen dieneren der kilchen zu Zürich, unseren lieben briederen.

An Meister Heinrich Bullinger.