Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2424]

Bullinger an
Matthias Erb
Zürich,
16. April 1546

Autograph: Basel UB, Ms Ki. Ar. 25c, Nr. 81 (früher 79), f. 100—100a (Siegelspur) Ungedruckt

Erb kann sich Bullingers Freundschaft sicher sein und demzufolge in seinen Briefen auf Einleitungsfloskeln verzichten. Es betrübt Bullinger sehr, dass [Johannes Engelmann] einen neuen Streit [in Mömpelgard] erregt hat. Erb und [Pierre] Toussain sollen zusammenhalten. Eine [vor dem Abendmahl vorzunehmende]Prüfung [der Gläubigen]durch die Pfarrer beruht weder auf einer Vorschrift noch auf einem apostolischen Beispiel. Vielmehr stehen diesem Brauch sowohl Paulus' Aussage in [1Kor 11, 28] als auch das Verhalten Christi beim ersten Abendmahl, zu dem auch Judas zugelassen wurde, entgegen. Die vorgeschlagene Prüfung ist eigentlich nichts anderes als die Ohrenbeichte und führt zu allerlei Missbräuchen. Da die Pfarrer unverständig sind, war es richtig, am Hof [Ulrichs von Württemberg] um Hilfe zu bitten. So handelten auch die Propheten und die Apostel. Auch [die Könige]Hiskija und Josias trugen mehr zur Reform des Passahfests bei als die Priester. Erasmus [Schmid] starb im Glauben. Seine Witwe [Martha, geb. Blarer] billigt [die Abrechnung zwischen Erb und Schmid] und übersendet die Quittung. Sie dankt für Erbs Mühe und empfiehlt sich und ihre Kinder. Weiteres wird sie an [Nikolaus]König schreiben. Schmid hatte vor seinem Abschied alles geregelt, bis auf die Sache des Cosmas [Meuchlin], der zweimal zahlen musste. Die Witwe wird diese Angelegenheit Schmids Brüdern anvertrauen und [Meuchlin]freundlich antworten. Was Veit Dietrich in seiner Schrift ["An die christliche Kirche zu Regenspurg"] über die Anbetung des Abendmahls schreibt, ist unpassend und frevelhaft. Aus dem Dekalog, Joh 4 und 9, Apg 1 und 10 sowie aus Apk 22 hätte er entnehmen können, wer anzubeten ist. Kaiser [Karl V.] wartet nur auf eine Gelegenheit, um Schaden anzurichten. Offensichtlich kennen die Deutschen diesen kleinen Spanier noch nicht! Die unausgegorene Kirchenreform [Friedrichs II.] von der Pfalz ist der Reformation schädlicher als das Antichristentum. Warum will denn niemand nach dem Beispiel der apostolischen Kirche reformieren? Erb soll weiterhin über die Vorgänge in den Kirchen der Pfalz und Niederdeutschlands berichten. Angeblich ist Bucer in Heidelberg, um mitmischen zu können. Erb soll auch über den Beschluss der Fürsten in Heidelberg informieren. Luthers pompöses Begräbnis missfällt Bullinger. Schon die gelehrten Heiden rieten zum Maßhalten, und Stephanus wurde auch nur in Maßen betrauert.

a nos wurde in der Vorlage vergessen.
4 Sebastian Schertlin von Burtenbach.
5 Gemeint ist Zoller.


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Manche bereits abgeschaffte [Bräuche] werden wieder eingeführt! Auch wenn Luther der Kirche in vielem nützlich war, hat er ihr doch auch geschadet. Was werden nun dessen Nachfolger tun? In einem Schreiben [Nr. 2404] mahnte Bullinger Melanchthon zum Frieden. Was wird dieser darauf antworten? Die kostspieligen und ergebnislosen Religionsgespräche missfallen Bullinger sehr. Luther hat solche Treffen zu Recht missbilligt. Der Colmarer Mönch [Johannes Hoffmeister], der die Welt bekehren möchte, hat stattdessen [in Regensburg] getanzt! Die Augsburger Kirche entwickelt sich bestens. Am Morgen des 27. März kam es zu einem entsetzlichen Mord. Alfonso Diaz, ein Richter der römischen Rota, suchte seinen Bruder Juan Diaz in Neuburg a.d. Donau auf nachdem er gehört hatte, dass dieser zum Protestantismus übergetreten war. 14 Tage lang versuchte er, ihn umzustimmen, und bot ihm sogar ein Bistum an. Er reiste schließlich erfolglos ab, kam aber heimlich zurück und ließ seinen Bruder durch einen Diener [Juan Prieto] ermorden, wie einst Kain Abel umbrachte. Angeblich sind die Mörder in Innsbruck inhaftiert. Bullinger weiß noch nicht, was [am Tag] zu Baden beschlossen wurde. Eine Gesandtschaft des Schmalkaldischen Bundes wird darum bitten, keinem italienischen oder spanischen Heer einen Zug durch die Schweiz nach Deutschland zu gewähren. Die Zürcher, Berner und alle übrigen, die über Brücken und Flussübergänge verfügen, werden eher eine kriegerische Auseinandersetzung in Kauf nehmen als einen Durchzug gestatten. Grüße an [Sigismund Stier], [Oswald Fürstenlob], Gerold [Meyer von Knonau d.J.] und [Nikolaus]König. Bullinger konnte den Brief nicht nochmals durchlesen.

Gratiam et vitae innocentiam a domino. Putavi iam pridem, frater in domino colendissime, ita me tibi charum et fraterna amicitia iunctum, ut nullo scires tibi exordio esse utendum, interim tamen exordio te insinuas et deprecaris, quasi non loquaris in cor fratris. Scias itaque me totum esse tuum, nec aliter loquendum mihi quam tibi ipsi. 1

Doleo Diabolandrum 2 novas excitare turbas sparsis dissidii seminibus. Vestrum erit iunctis Tossano 3 copiis fideliter iuvare certantem. Recte vero tu putas privatum illud examen per ministrum faciendum 4 nullo vel mandato praeceptum vel exemplo apostolico relictum ecclesiae. Exturbandum ergo ex ecclesia et exturbatum numquam admittendum. "Probet seipsum homo" [1 Kor 11, 28], inquit apostolus 5 . Sed et dominus Iesus prima illa et in perfectissima coena non examinavit quenquam. Publice docuit et admonuit, sed et ludam admisit, prius tamen admonitum et obtestatum. 6 Ideo vetus ecclesia verbi praedicatione purgavit et non privato examine. Hoc privatum examen mox reducet nobis confessionem auricularem; imo aliud nihil est quam auricularis confessio. Serviet hoc examen ambitiosis ministris ad confirmationem tyrannidis, libidinosis ad explendam libidinem, avaris ad res suas conficiendas. Ecclesiae oberit, non proderit. Recte autem facitis, qui auxilia aulicorum imploratis. 7 Nam cum ministri non sapiunt, sapiunt autem principes,

1 Anspielung auf Erbs einleitende Worte in seinem Brief vom 8. April; s. Nr. 2418,1—6.
2 Johannes Engelmann, den Erb als "Satandrum" bezeichnet hatte; s. Nr. 2418,8f.
3 Pierre Toussain.
4 Zur Einführung einer von den Pfarrern vorzunehmenden Prüfung all derer, die
am Abendmahl teilnehmen wollen, s. Nr. 2418,7—28.
5 Paulus.
6 Vgl. Mt 26, 17—30 par.
7 Erb hatte die Angelegenheit an die Beamten von Herzog Ulrich von Württemberg verwiesen; s. Nr. 2418,19—21.


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a ministris appellandum ad principes. Fecerunt hoc prophetae et apostoli. Ezechias et losias magis quam sacerdotes paesa restituunt. 8 Haec oportet nobilibus et bonis viris ingerere et inculcare. Nos orabimus dominum, ut res bene fortunet.

Dominus Erasmus 9 in magna patientia et fide fervida confessione, denique et invocatione nominis Christi placidissime excedens migravit ad dominum. Vidua 10 autem eius relicta lectis tuis et auditis meis accepit benigne rem et mittit hic tibi quitantiam, quam vocant. Denique magnas agit gratias tuae humanitati et tuis laboribus et commendat se et liberos 11 viri optimi tibi tuisque et precibus fratrum. Plura ipsa scribet Rhegio 12 . Dominus Erasmus ita mortuus est, ut sancte sit obtestatus se hospitae 13 per omnia satisfecisse, ubi tamen Cosmas 14 quidam secundo solvere coactus fuit. Cosmae causam referet ad fratres 15 defuncti mariti, et benigne respondebit Cosmae.

||100v. Vitus Theodorus scripsit inepta, impia et incongrua scripturis de adoratione eucharistiae. 16 Ignorat, quid sit adorare. Didicisset vel ex 1. decalogi praecepto 17 et 2., vel saltem ex verbis domini loan. 4, [21—24], et historia evangelii loan. 9, [38], Acto. 1, [3—11], et 10, [25f], capitibus, Apocalip. 22, [8f]. Sed placent illi homines sibi valde. Dominus misereatur ipsorum.

Caesar 18 revera monstrum alit, 19 nec aliud quam occasionem expectat pro sua vafricie 20 Hispanica. Ubi dabitur et occasio et facultas nocendi, ita se impigrum et truculentum geret, ut omnes sint admiraturi. Man wil in Tütschen landen das Spangölerly noch nitt rächt kennen. Zu besorgen, man werd es der tagen eins erfaren. Dominus protegat et servet suam ecclesiam!

8 Zur Reform des Passahfestes s. 2Chr 30 (für Hiskijas Zeit) und 2Kön 23, 21—23: 2Chr 35, 1—19 (für Josias' Zeit).
9 Erasmus Schmid, der am 23. Februar gestorben war.
10 Marta, geb. Blarer. Sie sollte die Abrechnungen zwischen Erb und Schmid überprüfen; s. Nr. 2418,34—44.
11 Von Schmids Kindern sind mit Namen bekannt: Ulrich (geb. 1528), Elisabetha (geb. 1529), Erasmus (geb. 1530), Felix (geb. 1532), Sebastian (geb. 1533; gest. 1586), Marta (geb. 1535) und Joder (geb. 1538; gest. 1578). Möglicherweise waren aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr alle am Leben; s. Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Bd. 6 (Zürich ZB, Ms Z II 6), 5. 959. 975; Taufbuch des Großmünsters (Stadtarchiv Zürich, VIII C Nr. 1).
12 Nikolaus König, Pfarrer in Hunaweier. 13
13 Marta, geb. Blarer.
14 Cosmas (Kosmus) Meuchlin, Pfarrer, im
Jahr 1559 Mitunterzeichner eines Briefes der Geistlichen von Reichenweier an die Geistlichen von Zürich. Weiteres ist nicht bekannt. —Lit.: Bopp-I 368, Nr. 3493.
15 Schmid hatte mindestens drei Brüder, Albert, Johannes, und einen "frater Johannes" (Diakon im Kloster St. Gallen). Es ist aber ungewiss, wer von ihnen zu diesem Zeitpunkt noch am Leben war; s. Oskar Vasella, Zur Biographie des Prädikanten Erasmus Schmid, in: ZSKG 50, 1956, 360.
16 Gemeint ist Veit Dietrichs Schrift "An die christliche Kirche zu Regenspurg"; s. HBBW XV 625 und Anm. 2; 629 und Anm. 49. Vgl. ferner Nr. 2418,45—52.
17 Ex 20, 3—5; Dtn 5, 7—9.
18 Karl V. —Vgl. Erbs Äußerungen in Nr. 2418,53—56. 72—78.
19 Adagia 2, 4, 98 (ASD II/3 394, Nr. 1398).
20 vafricies = vafritia; s. Kirsch s.v.
21 den kleinen Spanier.


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Palatini 22 initia prava et corrupta sunt. 23 Plus negotii bonis inepta dabit reformatio quam manifestus antichristianismus. Nemo vult in reformandis ecclesiis apostolicam spectare ecclesiam, quasi vero ea fuerit imperfecta. Quia ergo nostra magis quam dei sequimur consilia, merito ea non assequimur, quae deus obsequentibus promittit. Oro, ut mihi semper diligenter perscribas, si modo certa habere potes, quomodo res in Palatinatum et reliquis inferioris Germaniae ecclesiis gerantur. Audio Bucerum contendisse Heydelbergam, damit das er doch Peterly sye in aller kost 24 . 25 Si audieris, quid principes Heydelbergae decreturi sint, 26 fac sciam obsecro, etc.

Excessit Lutherus, 27 et utinam feliciter! Funebris illa pompa mihi displicet. 28 "Ne quid nimis" tradunt vel gentilium sapientes. 29 Plangebant pii et Stephanum 30 , sed usque ad sobrietatem. 31 Instauramus multa, quae fere ceciderant; revocamus quaedam, quae eiecta fuerant. Profuit in multis ecclesiae Lutherus, sed rursus obfuit multum. Videamus quid tentaturi sunt eius sequaces et successores. Scripsi Melanchthoni 32 et adhortatus sum illum ad studium pacis. Expecto, quid sit responsurus. 33 ||

[100]a,r. Colloquia illa semper mihi displicuerunt. Colloquti sunt iam toties sumptibus inaestimandis et nullo cum fructu, sed ne nunc quidem ullus apparet colloquiorum finis. Piscator ne ictus quidem sapit. 34 Tribuo hanc pertinaciam uni et alteri, qui, quae cogitant, optima et irrefragabilia putant. Laudo Lutherum mortuum, qui istos conventus nunquam probavit. 35 Monachus Colmariensis, 36 conversor mundi perversi, 37 se dignos aedit fructus: "Lassend dantzen, dantzen"; 38 sic se produnt.

Nova apud nos nulla, nisi quod Augustae 39 res ecclesiasticae pulchre valent et procedunt. 40 Domino gratia!

27. martii a sub aurora Neoburgi 41 parricidium inauditum venit. Nam a Doctor Alphonsus Diazius, iudex Rotae apostolicae, 42 intra paucos dies veredarius, Neoburgum ad Danubium venit, ibi reperit quaesitum fratrem suum,

a-d Am Rande nachgetragen.
22 Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz.
23 Vgl. Nr. 2418,65—70 und Anm. 32.
24 damit das er doch Peterly sye in aller kost: damit er sich überall hervortun kann; vgl. Grimm XIII 1577f, Nr. 6c.
25 Zu Bucers Aufenthalt in Heidelberg s. Nr. 2399, Anm. 11.
26 Siehe dazu Nr. 2418, Anm. 35.
27 Luther war am 18. Februar verstorben.
28 Vgl. Erbs Schilderung; Nr. 2418,79—84.
29 Vgl. z.B. Terenz, Andria, 1, 1, 34; Cicero, De finibus, 3, 73. — Siehe ferner Hubertus Kudla, Lexikon der lateinischen Zitate, München 2001, S. 460, Nr. 3023.
30 Der hl. Stephan, der erste christliche Märtyrer; s. Apg 7, 54—60.
31 Vgl. aber Apg 8, 2.
32 Am 1. April (Nr. 2404).
33 Eine Antwort Melanchthons ist nicht erhalten.
34 Im Gegensatz zum Sprichwort: "Piscator ictus sapiet"; s. Adagia 1, 1, 29 (ASD II/1 142, Nr. 29).
35 Siehe dazu Druffel, Karl V. IV 468f.
36 Johannes Hoffmeister, der am Zweiten Regensburger Religionsgespräch teilgenommen hatte.
37 Vgl. Nr. 2333,62—66.
38 Vgl. Nr. 2418,85—89.
39 Augsburg, wo Haller wirkte.
40 Eine Idealisierung; vgl. Nr. 2428 und Anm. 24.
41 Neuburg an der Donau.
42 Siehe Nr. 2399, Anm. 15.


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doctorem Ioannem Diazium, Hispanum, quem audivit deficere ad evangelicos. Egit cum illo per dies 14, promisit episcopatum, sed, cum nihil proficeret, discessit. Rediit mox clanculo et submisso ministro 43 curavit Cain Abelo 44 fratri caput securi diffindi. 45 Aiunt parricidas in vincula coniectos esse Isbruggii. 46

Badenae convenerunt Helvetiorum legati. Quid conclusuri sint, nescio. Foedus Schmalkaldicum misit ad ipsos legationem 47 de non traducendo exercitu Italico aut Hispanico, si quis futurus esset, qui per Helvetiam velit transire in Germaniam. Certissimum est Tigurinos, Bernates et reliquos b , qui pontes omnes obtinent et traiectus, nunquam permissuros. 48 Wir wöllend ee vorhin mitt inen ein vordantz 49 haben mitt gottes hilf, etc.

Salutabis fideliter d. cancellarium 50 , scribam 51 , Geroldum 52 , Regium 53 et omnes fratres. Salutant te omnes fratres.

Festinanter, Tiguri, 16. aprilis anno 1546. Valebis aeternum. Non licuit relegere.

Bullingerus tuus c

totus ex animo.

[Adresse auf f. [100]a,v.:] Praestantissimo viro d. Matthiae Erbio Rychenvillae Christum praedicanti, domino et fratri suo charissimo d .

b reliquos über der Zeile nachgetragen.
c In der Vorlage tuu. —
d Darunter Erbs Empfangsvermerk: 23. aprilis redditae.
43 Juan Prieto.
44 Vgl. Gen 4, 8.
45 Zur Ermordung von Juan Diaz s. die Stellenverweise in Nr. 2413 und Anm. 73.
46 Zur Gefangennahme in Innsbruck s. Nr. 2406, Anm. 105.
47 Matthäus Molckenpur und Dominik Hochrütiner; s. Nr. 2413,49—53.
48 Zu dieser am Tag zu Baden am 12. April
verhandelten Angelegenheit s. Nr. 2327, Anm. 28; Nr. 2407, Anm. 36; sowie EA IV/1d 641 zu i2.
49 eine kriegerische Auseinandersetzung.
50 Sigismund Stier.
51 Oswald Fürstenlob.
52 Gerold Meyer von Knonau d.J.
53 Nikolaus König.