[3040]
Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
13. Oktober 1547
Autograph: Zürich StA, E II 357, 254-256 (Siegelspur)
Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 663f, Nr. 1483[]]Ani Dienstag [11. Oktober]empfing Blarer drei Briefe [nicht erhalten] von Bullinger. Am
gleichen Tag reiste Johannes Haller durch Konstanz, doch konnte Blarer diesem damals keinen
Brief mitgeben. -[2] Kurz darauf traf die Nachricht ein, dass Ravensburg aufgefordert
wird, spanische Soldaten aufzunehmen oder eine bestimmte Summe zu erlegen. Genau wie es
Studium zu beenden; s. HBBW XIX
Reg.; Nr. 2937, Anm. 8.
schon bei Hosea steht, saugen die Fremden ailes bis aufs Letzte aus. Gott helfe! -[3]Blarer
lieh die erste Abbildung [der Glarner Himmelserscheinung]jemandem [.. .], der diese ohne
Blarers Wissen weiterschickte. Es war ihm also nicht mehr möglich, sie an Vadian zu übermitteln,
als ein Bote [...] zur Verfügung stand. Dafür entschuldigte er sich bei Vadian. Bullinger
sei Dank für seinen treuen Briefverkehr und für die [neue]Abbildung. Die Vision ist, wie
Bullinger es richtig beurteilt, als Warnung Gottes aufzufassen. Gott erbarme sich der blinden
und tauben Welt! -[4]Das an Bullinger gerichtete Schreiben von Hans Schöner wird Blarer
noch heute an dessen Schwester Sabina weiterleiten, ihr dabei den Dank von Bullingers Gattin
Anna [geb. Adlischwyler]ausrichten und ein baldiges Schreiben Bullingers ankündigen. Blarer
wird ihr auch eine Abschrift des an ihn und Bullinger gerichteten Briefs der Augsburger
Obrigkeit beilegen. Möge Schöner in der kurzen Zeit, die ihm noch bleibt, in geduldiger
Erwartung des Himmelreichs sein Leid ertragen! -[5] Haller kann berichten, dass Kaiser
Karl V. gar nicht so krank ist. wie behauptet. liber die 10'000 [Todesopfer der Schlacht von
Pinkie Cleugh] war nichts Näheres zu erfahren. Die Nachrichten aus England stimmen mit
dem überein, was bei Bullinger zu lesen ist. Wenn nur das Reich Gottes anbrechen würde! Die
von Bullinger und den Konstanzern erhaltenen Nachrichten zu den Hansestädten sind auch
gleichlautend. Gott dämme die Fluten dieser schlimmen Zeitläufte ein! Zu Recht haben die
Eidgenossen vor, sich gegen den Kaiser und König Ferdinand zur Wehr zu setzen. Alles deutet
nämlich auf eine [militärische Auseinandersetzung] hin, und ohne Gottes Hilfe ist alles verloren,
denn von den untereinander zerstrittenen Deutschen ist nichts zu erwarten. -[6] Der
Bote [...]bringt soeben Bullingers letzten Brief [nicht erhalten]. Wie Blarer es schon früher
[mit Nr. 3021] schrieb, stimmen die Gerüchte über Philipp Melanchthons [Abschwörung]
nicht. Dieser hat keine bösen Absichten. Beim alten [gefangenen]Kurfürsten Johann Friedrich
I. von Sachsen konnte er niemandem von Nutzen sein. Nach Leipzig wollte er nicht. Also will
er noch in Wittenberg bleiben. Er stellte sich jedoch dem alten und dem jungen Fürsten,
Herzog Johann Friedrich II. dem Mittleren, zur Verfügung, falls es in Weimar oder anderswo
zur Gründung einer Schule käme. -[7]Bullinger wird wohl wissen, was der Gesandte König
Heinrichs II. von Frankreich [Louis Daugerant, Seigneur de Boisrigaut], bei den Eidgenossen
bewirken wollte, auch wenn er nicht nach Zürich kam. Möge Gott alle diese Monarchen dazu
bringen, Christus zu dienen! -[8] Sollte Blarer verbürgte Nachrichten erhalten, wird er sie
mitteilen. Derzeit aber werden so viele Lügen verbreitet, dass ihm die Nachrichtenübermittlung
verleidet ist. Sogar seriöse Personen lassen sich verleiten, erdichtete Fabeln zu verbreiten!
-[9]Beiliegend ein Dokument bezüglich eines Konzils. Daraus wird deutlich, dass man
davon nichts erwarten darf! Doch der Herr wird siegen. Er gebe die Geduld abzuwarten.
-[10] Wenn nur die Menschen auf Gott vertrauten, wie es auch Bullinger wünscht! Dann wäre
allen geholfen, und man könnte wie Könige oder Kaiser der Welt und ihren Fürsten trotzen.
Gott mehre unseren Glauben! -[11] Blarer hofft immer noch, dass [Konstanz dem Kaiser]
keinen unchristlichen, und [vor Gott] nicht zu verantwortenden [Frieden]zugestehen wird,
zumal man ja die grausamen Beispiele [anderer Städte]noch lebhaft vor Augen hat! Bullinger
möge ernsthaft für die Konstanzer beten. Was kann man anderes tun? -[12]Letztens übermittelte
Bullinger 4 Florin des in Burgdorf oder Aarau wirkenden Schulmeisters Kaspar Seidensticker.
Allerdings hatten Blarer und Jakob Funcklin diesem je 2 Goldkronen, also insgesamt
4, die 6 Florin entsprechen, geliehen. Der Schuldner wird dies wohl noch wissen!
Bullinger soll ihn anhalten, die restlichen 2 Florin unverzüglich zu bezahlen, und diesem
keinen Aufschub gönnen, damit noch anderen Bedürftigen geholfen werden kann. Bullinger
verzeihe die damit verbundene Belästigung, doch da Seidensticker ihm diese 4 Florin zur
Übermittlung gesandt hat, muss er nun den Rest einfordern. -[13]Gruße, auch von Thomas
Blarer und Konrad Zwick. Sebastian Schertlin und Marcell Dietrich von Schankwitz, die beide
an einem Fieber erkrankt sind, lassen ebenfalls grüßen. - [14] [P.S.:] Hier kommen die
beiden, neulich schon [in Brief Nr. 3021] erwähnten Jugendlichen [Josua und Joseph Boschar].
Sie seien Bullinger und Johannes Wolf wärmstens empfohlen! Der Ältere, Josua, wird
schon seit seiner Kindheit wegen seiner Frömmigkeit und seines Lerneifers von allen geschätzt.
Vor kurzem wurden wie üblich die in Straßburg im Collegium [praedicatorum] studierenden
Stipendiaten der vier Städte [Biberach, Isny, Konstanz und Lindau] von einem
Abgeordneten [...]jener Städte inspiziert. Sowohl den Lehrern als auch dein Schulpfleger
[Crispinus Pithopoeus] war klar, dass dein Josua im Vergleich zu allen anderen Schülern ein
außergewöhnliches Schicksal bevorsteht. Den jüngeren Bruder, Joseph, kann man keineswegs
mit dem. älteren vergleichen. Doch ist er nicht schlecht (nur weniger begabt) und zudem
umgänglich. Beide dürften Wolf keine Mühe bereiten. Sie bringen diesem etwas Geld mit, wie
Bullinger es wünschte. Möge der Herr ihre Studien zum Ruhm seines Namens und zur Erbauung
seiner Kirche befördern! -[15]Der Kaiser soll den Eidgenossen viel Geld als Geschenk
nach Luzern geschickt haben. Falls das stimmt, wird Bullinger darüber schon Bescheid wissen.
- [16] Man bete zu Gott, damit er sich uns und seiner Kirche erbarme, günstigere
Verhältnisse schenke und vor allein uns bessere; denn dann kann uns die Welt nichts mehr
antun, und ailes wird uns zum Guten gereichen.
Furgeliepter, sonders vertrauwter herr und brüder, ewer drey brieff 1 hab ich
auff zinstag 2 wol empfangen und aber nichts gehapt domals, das ich euch by
dem frommen, theuren Hallero 3 , der dann denselbigen tag hieher und widerum
von hinnen weg geraiset, empieten köndt.
Kam doch gleych bottschafft, 4 wie man wellsch 5 volck auff die von Ravenspurg
legen oder ain summa gehts darfür nemmen weht, 6 das allso alles
ausgesogen und die frömbden unser krafft und sterck, wie der Oseas 7 7 sagt,
fressen müssend. Gott hellf allen!
Ich hab die ersten pictur ainem 8 gelichen gehapt, der mirs on myn willen
verschickt hat, das ichs Vadiano nitt schicken können, da 9 ich bottschafft 10
hett. Habs gegen im entschuldigt. 11 Bedanck mich zum hochsten ewers
schied sich für Letzteres. Am 4. November
zogen die Spanier aus Biberach ab (s.
Gerwig Blarer BA II 72f, Nr.
968; 83, Nr.
981) und kamen nach Ravensburg, wo
500 Spanier über 15 Wochen einquartiert
wurden; s. Johann Georg
Eben, Versuch
einer Geschichte der Stadt Ravensburg
von Anbeginn bis auf die heutigen Tage,
Fünftes Heft, Ravensburg 1832, S. 257f
(wo das angeführte Datum ihrer Ankunft
vom 8. Oktober auf den 8. November zu
korrigieren ist).
hertzlichen, christlichen zuschreibends
12 , ouch der pictur, deren best ausslegung
ist, wie ir davon schreibt,
13 das uns gott bey zeyt desshalb habe
warnen wellen. Er verlich gnad, das man es globe. Dann diser argen wellt
wills ouch am sensu communi manglen; ist mitt offnen ougen und oren toub
und blynd.
14 Gott erbarm sich ir!
Des Schöners handschrifft 15 an euch schicke ich hüt seiner schwöster 16 ,
damitt sy ouch etwas von mir hör. Schreib ir darby ewer lieben hausfrauwen
17 danck mitt anzögung, das ir selbs in kurtz schriben werdt. 18 Schick ir
ouch ain abschrifft deren von A[ugspurg] schreiben 19
an unß baid Gott well
den güten mann in seinem creutz 20 erhalten die kurtzen zeyt seines uberigen
lebens mitt gedult in das ewig vatterland 21 .
Das der c[aesar]22 noch nitt so kranck, bapt ir sampt anderm von dem
Hallero zu vernemmen. Der 10'000 halber 23 kan ich noch gar kam grund 24
erfaren, etc. Von Engelland laut die sag ouch mitt 25 ewerm schreiben 26 . Ach
gott, das doch etwan 27 dein reych recht und mitt ernst auffgienge! 28 Der
Seestett 29 halber laut unser kuntschafft ouch der ewern gleich. Der starck
gott wurt disem mehr 30 auch seinen tammen und wur 31 setzen. Das ir c[aesari]
und r[egi]32 trauwend 33 , wie ir schreibt, daran vernetzend ir nichts 34 . Der
augenschein lehrt ye mehr und mehr, wahin es alls 35 gericht ist. Wehrt gott
dings begab er sich Ende September
trotzdem zur Jagd; s. Nr.
3017, Anm. 16.
Siehe ferner Nr.
3025,9-11.
nitt, so ists alles nach menschlicher rechnung überlistet und veruntreüwet.
Wir Teutschen sind all verathen und verkoufft, namlich dieweyl wir selbs an
ainander all falsch und untrüw sind.
Yetzund empfach ich ewer letst schreiben 36 by unserem botten 37 . Es ist ja
nichts mitt Philippo, 38 wie ich euch vor geschriben, 39 aber Philippus hat
meines erachtens nitt ain böß consilium vor im 40 . Bey seinem alten churfursten
41 hett er nieman können nutz sein. 42 Zu Lypsig hat er um kam sach 43
sein wellen. Zu Wittenberg blypt er, so lang im liept 44 . Hat dem alten und
jungen fürsten 45 versprochen, wa 46 sy wurden zu Wymmar oder anderschwa
47 am schul anrichten, welle er inen fur alle 48 menschen dienen, etc.
Galli 49 legatus 50 , was sein werbung anderschwa gewesen, ob er gleich 51
nitt zu euch keme, werdt ir nunmehr wol wissen. Deus illos omnes monarchas
ad sui cognitionem, utque filium suum osculentur, 52 sancto suo spiritu
propicius et tempestiviter permoveat!
||255 Was ich von newem gloubhafftigs yeder zeyt vernymm, soll euch
gewisß und aigentlich unverhalten belyben 53 . Es ist des lügens so uber die
maasß vyl, das mir schier alles schreiben zeytung halber erlaidet 54 . So gar
fälend 55 auch die warhafftigen, qui, quamquam nunquam mentiuntur, mendacia
tamen saepe magnifica et picturatissima scribunt.
Hiemitt empfacht ir den anlaß 56 ains conciliums halber, welchs dermassen
angezettellt wirt, das der warhait halber kam gewynnens daruff ist. Aber der
herr wirts noch alles zu seiner zeyt recht schicken und entlich mitt seiner
sach obsigen. Er gebs mitt geduldt und langmütikait zu erwarten!
Es ist, wie ir schreibt, allain uff gott ze sechen. Thäten wir das, so were a
unß geholffen. Ach, ach, wie herrlich, fürstlich leut und grosmechtigist künig
und kaiser weren wir, köndten wir unß disem obersten herren recht
vertrauwen und gelassen darstellen 57 , trutz aller wellt und iren fürsten! Wie
bald solltend sy den kopff an uns zerstossen und den spieß an unß brechen 58 !
Ach, min gott, mehr 59 unß den glouben! 60
Unser halb byn ich noch ymmer getroster hoffnung, mann werde nichts
unchristlichs und vor 61 aller erbarkait unveran[t]wurthichs b bewilligen, 62
dann die exempel 63 sind fryß grün 64 und grausam gnug vor augen. Will sonst
etwas an unß helffen? Darum wellt unß den truwen gott mitt allem ernst
bitten helffen, dann usserhalb des waiß ich nichts zu getrosten 65 in allem.
Ir bapt mir verruckter zeyt 4 fl zügeschickt 66 von dem herren Caspar
Sidensticker, yetz schulmaister zu Burchtolff 57 oder Arow. Nun ist er unß
aber 6 schuldig, wie ich euch vormals bericht, 68 dann wir ime 4 goldcronen
gelichen habend, wie er billich 69 wol wissen sollt, und das 4 fl myntz sich
nitt in cronen begriffen 70 lassend: Es gab allweg 71 myntz darzu. Ist min pitt,
ir wellt inn manen, das er die uberigen 2 fl ouch zuschick 72 und sich danckbar
beweyß. Im ist mehr güts von unß beschechen. Das gellt alles gehört
lich von Aarau
Pf-Bern 648. - Das von
ihm geliehene Geld schuldete er Ambrosius
Blarer und Jakob Funcklin; s. unten
Z. 71f. Weiteres zur Angelegenheit erfährt
man in Nr.
3056,69-72. 79-84.
halb dem Jacob Funckely: Der lych
73 2 cronen und ich zwo. Sagt er "Bald
74
im gott hulff", das er uffgezogen were
75 , wellt er unß unverzogelich
76 bezalen!
Das begeren wir, das ers this. So kann man andern armen leuten auch
helffen, etc. Verzicht mir, das ich euch damitt müh soll machen; dann diewyl
er euch 4 fl zugeschickt hat, must ir allso um die andern zwen hinwider
auch bemüt sein.
Wellt den ewern allen vyl, vyl dienst, gfitz und grütz sagen. Min lieber
brüder 77 77 und vetter 78 empieten euch sampt dem S. Schärtel 79 und Marcell
Dietrichen 80 , die baid quartanam 81 hefftig habend, vyl fruntlichs diensts mitt
allem guten von gott. Datum 13. octobris 1547.
||256 En hic tibi adulescentes hosce nostros 82 , de quibus ad te scripsi. Eos sic
tibi ac per te Wolphio nostro commendo, ut magis nequeam. Alter, cui
Iosuah nomen, qui et maior natu, iam inde a puero insigniter Pius ac studiosus
fuit, ac proinde mihi ac bonis omnibus charissimus. Praeterea, quum
iam novissime Argentorati collegium 83 a misso in hoc ex quatuor urbibus 84
legato solito more inspiceretur ac de singulorum adulescentum 85 moribus et
studiis testimonia a praeceptoribus 86 pariter et oeconomo 87 colligerentur, ad
unum omnes hunc Iosuah extra communem caeterorum omnium aleam collocarunt.
Dominus illi spiritum suum benignissime, quo magis atque magis
diesen Städten nach Straßburg abgeordnet
wurde, ist unbekannt.
c in pietate ac literis promoveat, propicius largiatur! Alter, quamquam
nulla re fratrem aequat, tamen et ipse non malus, sed mediocriter ingeniatus
et tractabilis est, ut credamus Wolphio nihil incommodaturos. Adferunt secum
aliquantam pecuniam Wolphio, quemadmodum petebas
89 . Dominus studia
illorum ad gloriam nominis sui et ecclesia aedificationem bene fortunet!
Es wirt her geschriben, der kaiser solle vyl kronen gen Lucern geschickt
haben, die Aidgnossen damitt zu begaben 90 Ich achten aber, so etwas daran,
es were euch nitt verborgen.
Precemur dominum, ut nostri et ecclesia suae misertus meliora largiatur,
quam iam diu vidimus et sumus perpessi, utque inprimis nos ipsos meliores
reddat. Tum enim nihil nobis pessimus iste mundus offecerit, sed omnia
caedent in lucrum 91
[Adresse auf der Rückseite:]Egregio valde Jesu Christi servo, d. Heinricho
Bullingero, observando suo et charissimo fratri. 92