[691]

Berchtold Haller
an Bullinger
[Bern],
29. November [1535]

Autograph: Zürich StA, E II 343, 4r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Dankt für Bullingers Vermittlung beim Erwerb von [Vorlesungsnachschriften]. Berichtet auf dessen Bitte ausführlich über die Genfer Angelegenheiten: Das Burgrecht mit Genf geht auf Machenschaften [von Bernern und Freiburgern] zurück; Ursache allen Übels ist das damit verbundene Parteiwesen. Bern ist nicht zum Krieg bereit, da der Sold für den letzten Krieg erst teilweise ausbezahlt ist und Freiburg, Solothurn und die V Orte feindlich gesinnt sind; im übrigen ist weder den Abgesandten Savoyens noch jenen Genfs zu trauen. Eine Freischar, die von Neuenburg aus den Genfern zu Hilfe kommen wollte, ist verraten worden, hat aber die Savoyer überraschend geschlagen; von den Boten Berns heimgemahnt, sind die meisten Söldner zurückgekehrt, einige wenige sind nach Genf gezogen und haben sich dort an einem Ausfall beteiligt. Bern verhandelt in Aosta mit dem Herzog von Savoyen und hat diesem wie auch Genf Maßnahmen für den Fall unfreundlicher Handlungen angedroht. Während Genf Hilfe von Frankreich erhalten soll, wollen die V Orte angeblich Savoyen unterstützen. Anspielung auf die Verhaftung von [Antoni Bischoff].

S. 29. novembris per nuncium Lenczburgensem 2 libros 3 , thesaurum certe selectissimum nihilo ferme, sed tua opera comparatum, salvos accepi, pro quibus tamen eodem mane nuncium proprium 4 , ut adferret, emiseram. Quam vero mihi gratificatus sis hoc munere, visne, ut scribam, cum id minime possim? Accepi deinde 9 ursigeros 5 ; sed quid opus erat hos remittere, cum tu plus papiri meo nomine insumpseris? Taceo tot commentarios et libros, quibus me munificentissime gravas, ut nullus unquam respondendi relinquatur locus. Audio vos iam primum a in Levitico laborare 6 . Utinam reliquam b Pentateuchi partem aliquando apprehendere possem! Sed de his alias. Gaudeo me hec habere, atque id tuo beneficio; ea enim semper sunt gratissima, quae tu in sinum meum effundis.

a vor primum gestrichenes pridem.
b vor reliquam gestrichenes tot.
1 Der von Haller irrtümlich auf 1531 datierte Brief gehört ins Jahr 1535, wie sich aus seinem Inhalt sowie aus seiner Erwähnung in Hallers Briefen vom folgenden Tag und vom 14. Dezember 1535 (unten Nr. 692, 8f. 12; 701, 461) zweifelsfrei ergibt.
2 Ein unbekannter Bote des Landvogts von Lenzburg, Sulpitius Haller.
3 Gemeint sind die Schriften aus dem Nachlaß des Pfarrers von Kloten, die Haller durch Bullingers Vermittlung erworben hatte, s. oben Nr. 675, 1-23.
4 Unbekannt.
5 Batzen, die bernische Münzeinheit bis ins 19. Jahrhundert; vgl. Hans-Ulrich Geiger, Der Beginn der Gold- und Dickmünzenprägung in Bern. Ein Beitrag zur bernischen Münz- und Geldgeschichte des 15. Jahrhunderts, Bern 1968. — Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 52, S. 87f. 94-99.
6 Theodor Biblianders Vorlesung über das Buch Leviticus begann laut einer Notiz im Kollegheft Rudolf Gwalthers am 12. November 1535, s. Egli, Analecta II 135.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Ceterum de Gebennensibus vis, ut multa scribam. Ich weiß, ir wüssend Zürich mee drumm weder ich ze Bern. In summa: Das burgrecht 7 ist underm bapstthum mitt bäpstleren durch geltsüchtig c eigennüczig practiken 8 der rechten practicanten in Nuithonum urbibus 9 gemacht, invito toto senatu nostro 10 . So dem seckel der boden usss 11 , hatt er denocht sin party hinder imm gelassen 12 , wie ouch Allobrogum regulus 13 . Das leet unß immer dar den sattel uff den ruggen 14 , den wir wol mitt besseren eeren abgeleyt hettind denn Costencz und Strasburg 15 , ja wo party nitt wäre gsin. Nun liest ursach allen unrats 16 . Min herren ergäbend sich in kein krieg, lidend ee 17 kosten mitt röslen 18 und tagen, wie wol si fern 19 ze Tunung 20 1000 gI. verrösslet und nütt geschaffet 21 , ist aber meyster party ursach. Zum ersten, die lantlüt sind noch nitt bezalt desß vordrigen kriegs 22 und der statt nütt worden, statt noch usss an dem selben sold 9900 kronen, werdent in irem kosten die wyte sorgliche reiß nitt thun. Zum andren habend wir lieb fründ: Friburgenses, Salodorenses et Antronios 23 , die unß desß nästs, als zebesorgen, wurdint hüten, und in summa von allen enden fyend schnyen 24 und wenig fründ erschinen; habes causam, cur iam dudum bello non fuerimus accincti. Zum dritten, so gäbend beeder partyen botten, ab Allobrogis et Genevis, so dick und vil luginen für, daß wir nitt wissend, wäm wir globen söllend.

Das ze erkunden hatt man ein bottschafft geschickt gen Jenff, bsunder do man vernam, daß von Nüwenburg durch das Burgund by 414 knecht vor Jenff

c vor geltsüchtig gestrichenes pra.
7 Nämlich das Burgrecht von Genf mit Freiburg und Bern vom 8. Februar 1526 (EA IV/1a 1507-1510).
8 Machenschaften (SI V 568-570).
9 Gemeint sind Bern und Freiburg im Uechtland, vgl. HBLS V 314f; VII 107.
10 In Bern war das Burgrecht gegen den Widerstand des Kleinen Rates zustande gekommen, vgl. Henri Naef, Fribourg au secours de Genève 1525-1526, Freiburg i. Ue. 1927, S. 196-218.
11 nachdem es damit zu Ende ist (vgl. SI IV 1027). Ende März 1534 hatte Freiburg das Burgrecht mit Genf aufgekündigt, vgl. Registres du Conseil XII 509-515; EA IV/1c 297-299; Jean-Antoine Gautier, Histoire de Genève des origines à l'année 1691, Bd. II, Genf 1896, S. 415-419.
12 hinterlassen (SI II 1415).
13 Karl III., Herzog von Savoyen.
14 belastet uns schwer (vgl. SI VII 1434).
15 Nach der Niederlage im Zweiten Kappelerkrieg hatte Bern (wie auch Zürich) auf
die Burgrechte mit Konstanz, Straßburg und weiteren Orten verzichten müssen; vgl. EA IV/1b 1573 IV a; Johannes Salat, Reformationschronik 1517-1534, bearb. v. Ruth Jörg, Text Bd. 2: 1528-1534, Bern 1986. —QSG, NF, 1. Abt.: Chroniken, Bd. VIII/2, S. 829-831.
16 Unheils (SI VI 1577-1579).
17 eher.
18 geringschätzig für: reiten (SI VI 1439f).
19 letztes Jahr (SI I 1019).
20 Thonon (Chablais).
21 Das einzige Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bern, Savoyen und den eidgenössischen Schiedorten vom 27. November bis zum 16. Dezember 1534 in Thonon war die Ansetzung eines neuen Tages zu Luzern, s. EA IV/1c 431-442.
22 Gemeint ist nicht der Zweite Kappelerkrieg (gegen Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 305), sondern der Feldzug vom Oktober 1530; s. HBBW IV, S. 901, Anm. 33.
23 Spottname für die katholischen V Orte, vgl. HBBW II, S. 88, Anm. 3.
24 Zur Redensart vgl. SI IX 1206.


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einem berg zu d bi Goppet und Nieus gezogen 25 und da denen von Jenff mitt für 26 ein worzeichen gäben, inen entgegen zezihen, da mitt si sicher gen Jenf kummen möchtind. Indem wie die knecht durch das Burgund zogen, nitt all Berner, sind si verraten und uff sy gewartet 500 büchsenschüczen. Dessi sy e gewarnet worden und dry tag ungessen 27 durch berg und holcz gefurt. biß daß si uff ein sunnentag amm morgen 4 puren fiengend, die sich ergabend, sy in ein dorff ze füren, darin si spis fundend. Also habend die knecht die 4 puren gebunden und von denen gfurt, und wie sy an eim berg an ein läbendigen hag und gstrüpp kummen, hend die 4 puren, wie wol gebunden an den henden, angfangen louffen, den fyenden, so hinder dem hieltend, zu eim worzeichen; sind si von den unseren von stund an erstochen worden. Indem habend die Saffoyer by 300 schücz lassen uff si abgon, all gefält, darnach mitt steinen so hart uff die unseren gworffen, daß si rügglingen und wie si mochtend, inen mustend den hag abloffen 28 und nider tretten. Do habend die unsern uff die Saffoyer (deren by 1500, ettlich sagend bi 2000 gsin) gstochen und in die flucht gschlagen, iren bi 400, ettlich sagend 500, umbbracht und also uff iren anzeigten berg kummen. Da sind unser botten 29 gsin, habend die Berner knecht allein heim gmant, dann unser ordnung der reisglöffen semlichs fordret 30 . Habend die knecht nitt gewellen, si habind denn sicherheit und profiand biß gen Orban 31 , hert Friburg und Bern zu. Das habend die Saffoyer bewilliget und gethon. Do hend die andren knecht ouch nitt wellen bliben, ist jederman heim zogen. Hettind wol in eim halben tag gen Jenff mögen kummen. Jecz wend inen die Jenfer nütt gen 32 . Jedoch sind ettwas knecht zu den Jenferen kummen, mitt denen si an eim morgen usßbrochen und abermals ein angriff an die Saffoyer gethon 33 , aber mitt verlust ze beiden siten, doch vast weniger personen.

In dem allem hett der herczog beworben ein tag, selbs persönlich on alle mittler mitt minen herren in friden ze handlen. Habend min herren semlichs bewilliget, ir bottschafft von raten und burgeren gen Ougstal zu dem herczogen mitt 1000 gl. ze verrösslen abgefertiget 34 . Wartend jecz alltag bottschafft, was und ob si handlind. Die wil aber der herczog ettlich kriegs volck in sim

d zu übergeschrieben.
e vor sy gestrichenes g.
25 Coppet bzw. Nyon (Kt. Waadt). Über den Neußerzug hatte Berchtold Haller bereits am 27. Oktober ausführlich berichtet, s. oben Nr. 666, 5-18.
26 Feuer.
27 ohne Verpflegung.
28 abgewinnen, erstürmen (SI III 1128).
29 Ludwig von Diesbach und Hans Rudolf Nägeli, vgl. EA IV/1c 569f.
30 Seit 1529 bzw. 1530 galt in Bern ein strenges Pensionen- und Reislaufverbot (SSRQ Bern I 11 362-368, vgl. Z XI 480, Anm. 4).
31 Orbe (Kt. Waadt), gemeine Herrschaft von Bern und Freiburg.
32 Der Versuch, die Neuenburger Freiwilligen auf dem Rückmarsch aufzuhalten und nach Genf zu holen, scheiterte an der Soldfrage; s. Registres du Conseil XIII 343, Anm. 3.
33 Gemeint ist wohl das Scharmützel bei Chêne (Kt. Genf) am 27. Oktober 1535, s. Registres du Conseil XIII 337f, Anm. 1.
34 Zum Tag von Aosta s. oben Nr. 675, Anm. 11.


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land, doch nitt ferr von Jenf, byenandren hett, och die Jenfer ettlicher zusätzer 35 , habend sich ||4v. min herren erkent, wo die Saffoyer neiswas 36 unfrüntlichs handlind mitt den Jenferen, wellind min herren von stund an ir botten heim vordren und sich witer beraten, wo aber die Jenfer inducias nitt hieltend, wellind min herren ir burgrecht inen uffgäben 37 .

Hie zwischend sind loffend reden, doch globwirdig, das ettlich Franczosen ze rosß und fusß, bi 300 minder oder meer, habend denen von Jenff wellen zu zühen, sind onferr 38 von Jenff durch den saffoyschen züg 39 gewendt und hindersich gewyst 40 . Jedoch gatt die reed, capittel und artickel syind gestelt von den Franczosen und Jenferen gegenenandren 41 . Da wurdint wir ein guten nachburen han! Denne ist aber ein reed, Antronii habind 400 man usß zogen, schickend si per strumas 42 Allobrogis zu Wissend wir nitt, was es gen will. Es loffend all tüfel darzwischen, das der friden nitt gmacht werd. Noch schryet alle welt uff unß, wir wellind uff den fleischbanck gen 43 und weiß nitt was.

Visne plura scribam, cum plura nesciam? Aut prius sine plura evenire, quae scribere possim. In cavea custodimus avem, cuius cantum olim, cum manifestus fuerit, tibi depingam 44

Rursum vale.

29. novembris noctu, anno 31[!].

Tuus B. H.

[Adresse darunter:] Heinrico Bullingero, ecclesiaste Tigurino, fratri suo charissimo.

35 Hilfstruppen (SI VII 1571f).
36 etwas (SI IV 808f).
37 Vgl. EA IV/1c 589; Registres du Conseil XIII 364.
38 unweit.
39 Heer (Grimm XV 832; XVI 388).
40 Eine französische Hilfstruppe unter der Führung von François de Montbel, Seigneur de Verey, war am 15. oder 16. November 1535 vom Baron von Sallenove, Alexandre de Viry, im Vormarsch auf Genf aufgehalten worden, s. Francis de Crue, La Délivrance de Genève et la Conquête du duché de Savoie en 1536,
in: JSG 41, 1916, S. 253-256; Gilliard, Les combats 12.
41 Zwischen Genf und François de Montbel waren zwar Absprachen getroffen worden, doch handelte dieser in eigenem Namen; s. de Crue, aaO, S. 254. 259.
42 Als "Kröpfe" bezeichnet Haller die Walliser, vgl. HBBW IV, S. 196, 7.
43 Zur Redensart vgl. SI IV 1385.
44 Haller spielt auf die Festnahme von Antoni Bischoff an, vgl. unten Nr. 692, 27-30; 705, 17-22. Zur Redensart vgl. SI III 163.