[2348]

Johannes Gast an
Bullinger
Basel,
9. Februar 1546

Autograph: Zürich StA, E II 366, 211 (Siegelspur) Ungedruckt

Gast hat gerüchtweise von einer Zwietracht in der [Zürcher] Kirche gehört, was ihn sehr schmerzt. Warum unterweisen die Zürcher nicht diejenigen, die ein wenig zu neuen Lehren

b iudico über der Zeile nachgetragen.
c Text im engen Einband verdeckt.
hervor; s. Nikolaus Müller, Georg Schwartzerdt, der Bruder Melanchthons und Schultheiß zu Bretten. FS zur Feier des 25jährigen Bestehens des Vereins für Reformationsgeschichte, Leipzig 1908 — Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 25, S. 253f. —Happel heiratete in zweiter Ehe kurz vor 1. März 1555 Katharina Susanna Stuchs (Stuichs, Stichs), eine Tochter von Margarete Schwartzerdt, einer Schwester Melanchthons; s. Müller, aaO, S. 248. 250. 252: Demandt, aaO, S. 125, Anm. 111.
6 Johann Eisermann (Johannes Ferrarius, Ferrarius Montanus), geb. 1485/1486, gest. am 25. Juni 1558. Seit 1527 Professor für Zivilrecht an der neu gegründeten Universität Marburg. Im Sommer 1533 Promotion zum Dr. iur. Seit April 1536 Vizekanzler; s. ADB VI 719f.
7 Nicht ermittelt.
8 Theodor Bibliander.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
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hinneigen, um auf diese Weise einen aufkommenden Zwist im Keim zu ersticken? Die Päpstlichen und die Gegner werden sich über das Zerwürfnis freuen. Da man Unterschiedliches darüber erzählt, soll Bullinger Gast genauer aufklären. Über andere Angelegenheiten wird Bullinger besser unterrichtet sein als Gast. Der Schmalkaldische Bund wurde um 20 Jahre verlängert. [Kurfürst Friedrich II. von der]Pfalz, [Philipp d.Ä. III.] von Nassau[-Weilburg-Saarbrücken] und [Graf Wilhelm IV. oder Georg Ernst von]Henneberg-[Schleusingen] wurden in den Bund aufgenommen; [Friedrich II. von der] Pfalz hat sich für das Luthertum entschieden, so dass die Pfaffen in das Gebiet von [König] Ferdinand [I.]fliehen, wo es an ihnen mangelte. Zu dem in Neuenburg [am Rhein] wohnenden Markgrafen Bernhard [von Baden-Durlach], dem Sohn des schwerkranken Markgrafen Ernst, sind Juden mit einem vergoldeten Becher und Geld gekommen und haben gebeten, er möge sie nach dem Tod seines Vaters bei ihrem alten Brauch lassen. Er hat sie hingehalten, und als sie nicht abließen, hat er ihnen für die Zeit nach dem Ableben seines Vaters mit dem Tode gedroht. Traurig zogen sie hinweg. Mehr über das üble Verhalten von Markgraf Bernhard im nächsten Brief Das Übrige wird [Oswald]Myconius [schreiben].

S. in domino. Non credis, quanto dolore affectus sim iis diebus, quum rumor spargeretur a quibusdam de ecclesiae vestrae dissidio 1 . Satanam cessare non posse in offitio suo inde apparet. Cur vos, qui prudentiores estis spiritu mansuetudinis, eos, qui paululum turgescunt ob novas doctrinas, non instruitis, dissidium pullulans, antequam in turbam veniat, non evellitis? Ecclesia vestra, hactenus optime constituta, ab invidis et contentiosis hominibus purgata, et iam, quum opus esset pace et unitate, in hoc discrimine periculoso incipitis contendere, frivolis questionibus 2 vos ipsos et ecclesiam perdere? Gaudebunt in sinu 3 papistae et adversarii nostri. Verum, etsi rumor sparsus sit de vestris disceptationibus, sed fuit varius et sibi non constans; oro itaque te, ut mihi significes fontem huius tragaediae, ut vel deum pro vobis orem (quod assiduo facio non solum pro nostra ecclesia, sed pro omnibus) a vel os quorundam mendaciis gaudentium b occludam, ne latius rumor iste serpat.

Caeterum, quae passim aguntur, fortassis melius nosti quam ego, quum nihil certi dicatur. Smalcaldicum faedus in 20 annos prorogatum. Palatinus 4 , baro de Nassauw 5 et Hennenbergis baro 6 in fedus assumpti. Palatinus Lutheranismo

a Klammern ergänzt.
b In der Vorlage gaudentibus. —
c In der Vorlage Lutheranissmo.
1 Sind vielleicht Auseinandersetzungen mit Theodor Bibliander gemeint? Vgl. HBBW XV, Nr. 2189; und Blarer BW II 429 und Anm. 1.
2 Vgl. 1Tim 6, 4.
3 Adagia 1, 3, 13 (ASD II/1 326, Nr. 213).
4 Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz. Der Abschied zwischen ihm und dem Landgrafen kam am 3. Februar 1546 zustande; s. Fabian, Quellen 224, Anm. 24. Zu einer Aufnahme in den Bund kam es aber nicht; s. Mattausch 92f.
5 Graf Philipp d.Ä. III. von Nassau-Weilburg-Saarbrücken, dessen Anwesenheit
am Bundestag in Frankfurt nachgewiesen ist. Er war zwar schon 1537 dem Bund beigetreten, hatte aber eine Zeitlang seine Beiträge nicht gezahlt und wurde demzufolge im Februar 1546 "zur Erlegung der Bundesanlage" ermahnt; s. PA I 530, Nr. 845; II 852, Nr. 2342; Nikolaus Gottfried Eichhoff Die Kirchen-Reformation in Nassau-Weilburg im sechzehnten Jahrhundert. Mit einigen Urkunden und ungedruckten Briefen von Luther, Melanchthon und Schnepf, Weilburg 1832, S. 631.
6 Wohl Graf Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen


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c nomen dedit; pfaffi fugiunt et Ferdinandinam regionem 7 confirmant in fide, quae hactenu[s]d caruit multis pfaffis.

An margraff Bernhart 8 , zu Nuwenburg 9 jetz wonende (filius Ernesti marchionis 10 , qui vehementissimo laborat morbo) e , sindt die Juden kommen, deren er vil in sin[s] her vatters landt hatt. Die haben im bracht ein hupschen vergulten 11 becher und gelt darinn. Die haben von imm begert, wann syn her vatter sterben wurdt, welche[r] hefftig jetzs kranck lige, das er sy by irem alten brauch lasse pleiben. Er [hat]f inen kein antwort geben, dann er habe geschefft. Amm morgen des andren tags hatt er ingenommen 12 . Die Juden haben begert ein antwort. Er hat sy uffzogen 13 . Die Juden handt nit nochgelossen. Do ist er erzurnt worden, [hat] inen das poculum mit dem gelt widerumb geben und gsagt: "Gondt hin, ir verfluchten Juden mi[t] uweren goben 14 und wissen dis, wann myn herr vatter sterb, das ir uch us[s] dem land machen, oder ich wil uch al erwurgen."Also seindt die Juden [hin]weg, truwrig hinweg zogen. Diser margraff Bernhart riß vil böß[lin]15 mit den buren und den meßpfaffen. Er ist ein wunderberhlicher kundt 16 , von dem in literis proximis plura.

Vale. Dominus Myconius reliqua. Basileae, 9. februarii 1546.

Tuus G.

[Adresse auf der Rückseite:] Insigni theologo m. Heinrycho Bullingero, Tigurinae ecclesiae pastori diligentissimo, fratri suo in domino charissimo. Zurich.

d Hier und unten Textverlust durch Papierverlust am rechten Rand. Fehlstellen wurden aus dem Kontext und aus der Abschrift von Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 59, 69) ergänzt.
e Klammern ergänzt. — f hat fehlt hier und unten in der Vorlage. oder dessen Sohn Georg Ernst, die der Reformation freundlich gesinnt waren, sich jedoch nicht dem Schmalkaldischen Bund anschlossen.
7 Das Herzogtum ob der Enns in Österreich; s. HBBW XIV 565, Anm. 57, und vgl. Bullingers Aussagen in Nr. 2353.
8 Markgraf Bernhard von Baden-Durlach, geb. 1517, gest. 20. Januar 1553; s. Johann Christian Sachs, Einleitung in die Geschichte der Markgrafschaft Baden, 4. Teil, Karlsruhe 1770, S. 73—75.
9 Neuenburg am Rhein.
10 Markgraf Ernst I. von Baden-Durlach. Er starb aber erst im Februar 1553.
11 ein hupschen vergulten: einen schönen vergoldeten.
12 [Petenten] zu sich eingelassen.
13 hingehalten.
14 Gaben.
15 riß [...]böß[lin] = pösslin reissen = üble Streiche spielen; s. SI IV 1733.
16 Kerl; s. Grimm XI 2621, s.v. "Kunde", Nr. 3.b.