[2825]
Johannes Calvin
an Bullinger
Genf,
25. Februar 1547
Autograph: Zürich ZB, Ms F 80, 338-341, Nr. 136 (Siegelspur)
Druck: CO XII 480-489, Nr. 880;
deutsche Teilübersetzung: Schwarz, Calvin I 369-372, Nr. 188[1] Calvin las Bullingers Buch 2 , sobald er wieder nach Hause gelangte. Wie versprochen hat
er niemandem etwas davon erzählt. 3 Er hofft, dass Bullinger vorliegende Bewertung dieses
Buches gut aufnehmen wird. Es wäre schön, wenn beide zur gleichen Meinung kämen. Wenn
nicht, möge Bullinger diese offene Beurteilung trotzdem gut aufnehmen, zumal er ja weiß, dass
Calvin ihn schätzt und vorliegender Brief aus aufrichtigem Herzen entspringt. Calvin wird
jedes Kapitel kurz kommentieren. Diese Gebundenheit soll nicht als die eines Zensors angesehen
werden. Sie drückt vielmehr Calvins Überzeugung aus, dass Bullinger keine längeren
Ausführungen braucht. — [2] Es ist unnötig, dass Bullinger in seinem 1. Kapitel zwischen
verschiedenen Arten von Zeichen (signa)4 unterscheidet, als würden sich diese gegenseitig
ausschließen. —[3] Im 2. Kapitel gefällt es Calvin nicht, dass die Sakramente der Taufe und
des Abendmahls aus etymologischen Überlegungen mit dem militärischen Eid in Verbindung
gebracht werden. Calvin beobachtet vielmehr, dass von Beginn der Kirche an die Lateinsprechenden
das Wort "sacramento" benutzten, um das griechische Wort grec wieder-
Nr. 2789, Anm. 1; Nr. 2796; Nr. 2806,
Anm. 13) erhalten hatte. Dementsprechend
ist Bullingers spätere Behauptung,
seine Schrift habe er sogleich nach deren
Fertigstellung Calvin zum Lesen "geschickt",
zu korrigieren. Auch HBBW
XVI 311, Anm. 16, ist daher zu korrigieren:
Johannes a Lasco wird eine Abschrift
von Bullingers Abhandlung nicht
bereits 1546, sondern erst 1549 erhalten
haben.
zugeben. Dies wird bereits in den älteren Übersetzungen des Alten und Neuen Testaments
ersichtlich. Deshalb denkt Calvin, dass das lateinische Wort "sacramenta" schon von Beginn
an im Sinne des griechischen Wortes verwendet wurde. —[4] Im 3. Kapitel missbraucht Bullinger
Paulus' Stelle, wo dieser schreibt, dass "alles [was die Hebräer am Roten Meer, in der
Wüste und mit dem Manna erlebten]Darstellungen (figurae) [der künftigen Ereignisse] waren
5 [5]Im 5. Kapitel betont Bullinger zu Recht, dass Gott nie versprochen hat, zusammen
mit den Zeichen leiblich (corporaliter) anwesend zu sein. Calvin hätte sich aber hier eine
größere Deutlichkeit vonseiten Bullingers gewünscht. Es ist klar, dass Jakob, als er sah, wie
der Herr auf der Leiter Platz nahm, 6 nur eine verkörperte (corporalis) Darstellung des Herrn
zu Gesicht bekam. Was aber Bullinger daraufhin über symbolische Redeweisen (symbolicae
locutiones) erörtert, hätte er an der dafür geeigneten Stelle ausführen sollen, um es dort nicht
nochmals wiederholen zu müssen. Zudem ist Bullingers Argumentation nicht zwingend. Dieser
behauptet, dass die Worte "Tut dies zu meinem Gedächtnis"7 eine wirkliche Anwesenheit
(realis praesentia) der Dinge, deren zu gedenken ist, ausschließen. Calvin glaubt aber; dass
diese Anwesenheit wahr (vera) sei, zumal das, dessen man gedenkt, wahr ist. 1m Abendmahl
wird an etwas Anwesendes erinnert, auch wenn die Erinnerung etwas Abwesendes voraussetzt.
Da liegt kein Widerspruch vor. Für die Augen wie für die Sinne sowie räumlich gesehen ist
Christus abwesend, da sein Leib (corpus) im Himmel ist. Beim Abendmahl aber wirkt er auf
die weitentfernte Erde. Durch seinen Geist ist er für die Seele der Frommen anwesend. Die
Distanz hält ihn nicht davon ab, die Seinen zu ernähren (pascere), auch wenn aus der Aufforderung
des Paulus, an Christi Tod zu denken, bis dieser wiederkommt, 8 klar wird, dass
Christus im Abendmahl nicht vom Himmel zu uns herabkommt. Nur durch den Glauben wird
er anwesend. Diese geistliche Verbindung (coniunctio) mit ihm schließt also nicht dessen
Wiederkunft aus. Zudem spricht nichts dagegen, dass er sich dem Gläubigen der Essenz nach
(essentialiter) wahrlich darbietet (exhibere), auch wenn er bis zur Auferstehung der Toten im
Himmel bleibt. Den Himmel betreffend teilt Calvin grundsätzlich Bullingers Haltung: Das
Wort "Himmel"bezeichnet einen Ort und nicht einen bloßen Zustand. Bullinger geht aber zu
hart mit denen um, die das anders sehen. Dass er am Schluss seines Kapitels behauptet, dass
der Herr gesagt habe, es nütze nicht, sein Fleisch (caro)"corporaliter" zu essen (manducare),
9 werden ihm nicht alle zugestehen, es sei denn, er meint mit "corporaliter"auf körperliche
Weise (corporali modo). 10 Übrigens erfordert Bullingers Argumentation nicht eine solche Behauptung,
denn viele, die an einem wirklichen Essen (realis manducatio) festhalten, glauben
noch längst nicht an ein fleischliches (carnalis)! —[6] Calvin stimmt Bullinger nicht zu, wenn
dieser im 6. Kapitel behauptet, dass das Wort "benedictio" nie im Sinne einer Konsekration
(consecratio) benutzt wird. Dies widerlegt nämlich folgende Stelle des Paulus: "Der Kelch des
Segens (calix benedictionis), den wir weihen (cui benedicimus) "1 1• Diese Satzkonstruktion
erlaubt nicht, [das Wort "benedicere"] als Danksagung (gratiarum actio) zu verstehen. Da
kann nur von einer Weihe der [im Abendmahl verwendeten]Symbole (symbola) die Rede sein;
eine Weihe, die Bullinger übrigens auch anerkennt. Calvin ist zudem der Meinung, dass Bullinger
in diesem Kapitel seine Argumentation mit zu vielen irrelevanten Ausführungen
schwächt und seinen Lesern lästigfällt. —[7] Im 8. Kapitel definiert Bullinger auf nicht ganz
befriedigende Weise die Beziehung (unio) zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten (res
signata). Calvin verwirft gemeinsam mit ihm jegliche krasse oder abergläubische Auffassung.
Doch hätte Bullinger mehr betonen sollen, wie wahrlich Gott das bewirkt, was er darstellt
Gottes Gaben mit seinem Körper empfängt),
während Bullinger den Begriff
"corporaliter"verwirft, weil er diesen auf
das, was der Beteiligte im Abendmahl
empfängt (nämlich Christi "Leib" und
"Blut"), bezieht.
(figurare). Bullinger erklärt die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Dargestellten anhand
einer Analogie (analogia), welche allerdings zu schwach ist, da die im Sakrament hergestellte
Beziehung das Zeichen vervollständigt (complementare), sodass Letzteres nicht leer
(inanis) ist, zumal der Herr durch seinen Geist in uns das bewirkt, was er im Zeichen schildert
(repraesentare). Im Abendmahl gibt es in der Tat, wie Bullinger schreibt, eine Analogie zwischen
dem Brot und dem Leib Christi, zwischen dessen Blut und dem Wein. Da aber die
Beziehung [zwischen Brot und Leib, Wein und Blut] aus unserer Verbindung mit Christus
entsteht, wird unsere Seele wahrlich ernährt (pascare). Bullingers Erklärung ist demzufolge zu
dürftig (ieiuna), und dies ist gänzlich (wie Calvin unten erörtern wird) die Folge [von Bullingers
Weigerung 12], das Verb "darbieten"(exhibere)[im Zusammenhang mit den Sakramenten
zu gebrauchen]. Zudem stört es Calvin, dass die [in den Einsetzungsworten] vorhandenen
Metonymien 13 anhand von Beispielen aus dem profanen Leben erklärt werden. 14 Natürlich
liegt hier eine gewisse Ähnlichkeit vor. Doch sollte man dabei auch unterstreichen, dass die
Metonymien im Abendmahl nicht von gleicher Natur sind. Befindet sich etwa der Geist des
Kaisers in dessen Abbildung, sodass diese belebt und in uns wirksam wird? Calvin weiß
genau, dass viele Menschen (darunter auch Philipp Melanchthon) sich über Zwinglis Lehre
gerade deshalb aufgeregt haben, weil dieser es versäumt hat, bei den von ihm benutzten
Vergleichen (comparatio) dies klarzustellen. Deshalb sind viele der Ansicht, dass Zwingli aus
dem Abendmahl eine Theateraufführung (theatricum spectaculum) macht! —[8]Im 10. Kapitel
über die Gnade (gratia) sollte Bullinger zuerst festlegen, dass die von der Gnade ausgehenden
freien Gaben (dona gratuita) oft für das Wort "Gnade" und umgekehrt das Wort "Gnade"für
die von ihr erzeugten Gaben verwendet wird. Außerdem erweist sich Bullinger dem Wort
"verleihen" (conferre) gegenüber als viel zu streng. Dadurch gibt er dem Gegner die Möglichkeit,
ihn zu beschuldigen, seine Aussagen (die nicht so extrem gemeint sind) zu verdrehen.
Diejenigen aber, die sagen, dass das Sakrament die Gnade verleiht, meinen doch dabei nicht
[immer], dass es die Gerechtigkeit [Christi] oder Ähnliches verleiht! Damit beteuern sie
lediglich, dass im Sakrament der Mensch mit den Gnaden Gottes versorgt wird (nobis administrare
dei gratias), genauso wie wenn Fabius 15 erklärt, dass die Vögel mit ihrem Schnabel
ihre Küken füttern. Bullinger sollte sich also hier milder erweisen, um nicht gehässig zu
erscheinen. Übrigens, was ist denn so absurd im Satz Die Sakramente sind Hilfsmittel (adiumenta),
damit Gottes Gnade erfasst (percipere) werden kann"? Calvin gibt zu (und dies wird
Bullinger nicht entgangen sein), dass das [von ihm verwendete]Verb "erfassen"weniger stark
als das Verb "verleihen" ist. Wenn Bullinger aber bedenkt, dass die Gabe des Geistes die Seele
der Sakramente ist, wird er doch der Aussage "Die Gnade wird mittels der Sakramente
verliehen"(sacramentis conferri gratiam) völlig zustimmen müssen. Sollte ihm dennoch eine
solche Aussage zu problematisch erscheinen, dann würde es doch genügen, wenn er sich deren
enthielte oder deren Bedeutung abschwächte. Calvin ist zudem der Ansicht, dass es keinen
Grund gibt, in diesem Kapitel so oft auf das Zitat des Bonaventura 16 zu verweisen. Bullinger
bedauert allerdings dabei, dass Bonaventura diejenigen, denen es an Gottes Gnaden mangelte,
auf die Sakramente verwies. Bestimmt überträgt (transferre) Gott nicht seine Herrlichkeit
(gloria) auf die Elemente [der Sakramente]. Wird aber wirklich Gottes Herrlichkeit auf das
Geschaffene übertragen, indem man betont, dass Gott das Geschaffene als Werkzeug (organum)
benutzt, um damit seine Gnaden auszuteilen (distribuere)? Erleuchtet denn die Sonne
nicht die Erde? Und verpflegt (alare) denn das Brot nicht? Bullinger betont so sehr, dass Gott
den Menschen zu sich ruft und diesen nicht auf die Sakramente verweist, weil er der Meinung
ist, dass die Sakramente zu Hindernissen für [Calvin und die Gleichgesinnten]17 geworden
sind und diese von Christus abhalten! Doch sind es die Papisten, die aus den Sakramenten ein
Hindernis machen und damit die Menschen von Christus abhalten! —[9]Bullinger beendet das
10. Kapitel, indem er hervorhebt, dass jeder, der an Christus glaubt, durch den Glauben
gerechtfertigt ist, ehe er an den Sakramenten teilgenommen hat. Laut ihm wird dadurch deutlich,
dass die Sakramente die Gnade Gottes nicht verleihen. Calvin sieht dies aber anders:
Weil wir gerechtfertigt wurden, wird uns die Gnade durch die Sakramente verliehen, da Letztere
Glaubensübungen (fidei exercitia) sind, die uns die geistlichen Gaben reichlich bescheren
(cumulare), aus uns Teilhaber (participes) Christi machen und unseren Glauben befördern
(promovere). Bewirken sie dies etwa aus sich selbst? Keineswegs! Sie bewirken dies nur,
solange die Auserwählten den Glauben bewahren und Christi Geist in ihnen durch den Glauben
wirkt. Ohne Glauben sind die Sakramente leblos und unnütz. — [10] Calvin war sehr
überrascht festzustellen, dass Bullinger in seinem 11. Kapitel nicht nur bestreitet, dass etwas
im Abendmahl dargeboten wird, sondern sich sogar sehr über den Gebrauch des Wortes
darbieten" (exhibere) ärgert! Bullinger betont, dass die Thomisten es eingeführt hätten. Wie
wird aber durch den Gebrauch dieses Wortes Gottes Wahrheit preisgegeben? Wenn Christus
mir das Brot und den Wein reicht, verspricht er mir ja seinen Leib und sein Blut. Bullinger
beteuert, dass der Gläubige dabei nur die Zeichen und nicht gleichzeitig das Bezeichnete (res
[signata]) erhält! Träfe dies zu, wäre das Abendmahl nur eine Farce. Mit "darbieten" ist
nichts anderes gemeint als "zum Genuss darreichen"(fruendum dare). Bullinger leugnet aber,
dass so etwas im Sakrament stattfindet, und zwar deshalb, weil nur Gott so etwas bewirken
kann. Calvin bezweifelt Letzteres nicht, da er ebenfalls in den Sakramenten nur ein Instrument
in Gottes Hand sieht und jegliche Wirksamkeit der Sakramente dem Geiste Gottes zuschreibt.
Bullinger vertritt aber die Ansicht, dass die Sakramente, weil sie aus sich selbst keine Gnade
Gottes enthalten (continere in se), nichts darbieten können! Diese Schlussfolgerung ist falsch!
Auch wenn in gewisser Hinsicht die Sakramente Gottes Gnade nicht beinhalten (includere), 18
ist Calvin der Meinung, dass sie Gottes Gnade doch enthalten (continere), genauso, wie wenn
man sagt, dass das Evangelium Christus enthält. Zudem sagen wir ja auch, dass Christus uns
durch das Evangelium dargeboten wird. Oder irrt vielleicht Paulus, wenn er schreibt, dass die
Korinther zur Gemeinschaft (communio) mit Christus durch das Evangelium gelangten? 19 Weil
Calvin dies glaubt, ist er deshalb nicht blind geworden! Er sieht sehr wohl, was zu unterscheiden
ist! Bullinger wird für Calvins Auffassung Bibelstellen anfordern. Darauf antwortet
Calvin, dass Bullingers Auffassung nicht von der Schrift unterstützt wird! Paulus sagt nämlich,
dass die Kirche durch das Wasserbad gereinigt wurde. 20 Bullinger wird darauf erwidern, dass
hier eine symbolische Redeweise (symbolica ioquutio) vorliegt, und daraus schlussfolgern,
dass das Wasser ein Zeichen ist. Calvin stimmt dem zu. Doch damit ist Bullinger noch nicht
aus der Klemme. Das Symbol würde nämlich nichts bewirken [also nicht reinigen können],
wenn es leer und illusorisch wäre. Demzufolge ist es vielmehr die Garantie (pignus vel obsignatio)
der Reinigung, die es darstellt. Deshalb ist der Begriff "Darbietung" (exhibitio)
erforderlich. Ein weiteres Beispiel: "Dies ist mein Leib, der für Euch preisgegeben wird". 21
Bullinger und Calvin sind beide der Meinung, dass das Brot ein Zeichen ist. Bullinger bestreitet
aber, dass es etwas darbietet; Calvin nicht. Bullinger denkt, mit dem Begriff "Zeichen"
die Schwierigkeit (nodum) erklärt zu haben. Doch trifft dies nicht zu, denn ein göttliches,
leeres Zeichen ist wertlos. Das Brot ist nicht nur da, um mich zu erinnern, dass der Leib
Christi für mich geopfert wurde. Das Brot wird mir auch als Nahrung (cibum) gegeben, um
mich zu speisen (vescari). Christus sagte nämlich: "Nehmt" und "esst". Dies darf man nicht
vergessen! Deshalb spricht auch Paulus in diesem Zusammenhang von einer Gemeinschaft
(grec) 22 . Calvin weiß schon, dass auch dieses Wort missbraucht wurde. Doch will er sich
hier nicht damit aufhalten. Es genügt zu betonen, dass die Anwesenden bei einer echten
Abendmahlsfeier Teilhaber an Christus werden, indem ihnen das Dargestellte (res figurata)
dargeboten wird. —[]]]Nun zu den Stellen [in diesem Kapitel], in denen Bullinger sich weder
über das Abendmahl noch über die Taufe äußert. Bullinger bestreitet, dass, als Christus über
die Apostel blies, der Heilige Geist sich in seinem Atemzug befand, zumal der Geist nicht
örtlich begrenzt werden kann. Niemand aber (nicht einmal die Papisten) befürwortet eine
solche Begrenzung. Dennoch ist Calvin der Meinung, dass es eine Verbindung (wenn auch
keine räumliche) zwischen dem Blasen und dem Geist gibt. Das Zeichen ist nicht leer. Die
damit verbundene Wahrheit liegt vor. Hier sei betont, dass es wichtig ist, zwischen menschlichen
und göttlichen Zeichen zu unterscheiden! Der Mensch kann mit Zeichen Dinge darstellen;
Letztere bleiben aber aus. Nur Gott kann durch seinen Geist etwas vollbringen (efficere),
das er mit einem Symbol darstellt. Auf ähnliche Weise ist die Taube dem Geist gleichzustellen.
23 Bullinger leugnet dies, doch auf derartige Weise, dass er diese Übereinstimmung
einzuräumen scheint! Er sagt nämlich, dass die Taube das Zeugnis der Anwesenheit (testimonium
praesentiae) des Geistes sei. Calvin verlangt nichts mehr! Natürlich ist die Taube der
Substanz nach (substantialiter) nicht der Geist. Es genügt also zu betonen, dass mit dem
Symbol der Taube die Anwesenheit des Heiligen Geistes erwiesen (exhibere) wird. Was Bullinger
sonst noch darüber schreibt, hat wenig mit der Sache zu tun. Bullinger behauptet auch,
dass die [in der Apostelgeschichte bezeugte]24 Handauflegung [zur Vermittlung des Heiligen
Geistes] eine Sondervorkehrung gewesen sei, die es nur zu Beginn [der Verkündigung] des
Evangeliums gab. Calvin könnte diese Argumentation gegen Bullinger wenden. Sollte nämlich
bei einem temporären Sakrament [der Heilige Geist]dargeboten worden sein, wie viel mehr
findet dann in einem immerwährenden Sakrament stets eine Darbietung statt! Natürlich weiß
Calvin, dass die Gabe des Geistes nicht von der Handauflegung abhängig war, dass das
Zeichen wirkungslos sein konnte, und dass Gott seine Gnade auch ohne das Zeichen erteilte.
—[12]Es ist auch nicht sehr hilfreich, wenn Bullinger streitend hervorhebt, dass das Bezeichnete
(res [signata]) nicht synchron mit dem Zeichen ist. Man weiß nämlich, dass es bei der
Taufe z.B. nicht schlagartig, sondern nur allmählich zur Lebenserneuerung kommt, die durch
dieses Zeichen dargeboten wird. Wenn zudem Bullinger so sehr betont, dass allein Gott der
Urheber all dessen ist, was den Sakramenten zugeschrieben wird, kann man daraus folgern,
dass er sagen würde: Da Gott die Erleuchtung schenkt und die Weisheit erteilt, verleiht Gottes
Gesetz [bzw. Wort] diese Gaben nicht! 25 Bullinger scheidet die Zeichen aus (excludere), weil
aus seiner Sicht der Mensch Teilhaber an den himmlischen Gaben durch den Glauben wird.
Calvin erwidert darauf Wenn diese Gaben dem Menschen durch den Glauben zuteilwerden,
dann werden sie ihm ebenfalls durch die Sakramente zuteil, da der Glaube von Gottes Wort
und den Sakramenten kommt! 26 Wer bezweifelt übrigens, dass die Heiligen etliche Gaben
schon vor ihrer Teilnahme an den Sakramenten erhalten? Allerdings klingt es so, als würde
Bullinger der Meinung sein, dass die Heiligen schon dermaßen durch Gottes Gaben erfüllt
sind, dass sie mit den Sakramenten nichts Zusätzliches erhalten! So beteuert Bullinger, dass
der [äthiopische Hofbeamte]27 bereits vor seiner Taufe mit ganzem Herzen geglaubt hat und
demzufolge schon vor seiner Taufe von Gott [neu] erzeugt wurde. Das stimmt. Wenn aber
Bullinger daraus schließt, dass die Taufe dem Beamten nichts darbot, das er nicht schon
gehabt hätte, irrt er! Denn auch wenn dieser bereits von ganzem Herzen glaubte, mangelte es
ihm noch an vielem. Auch die Episode des [römischen Hauptmanns]Cornelius 28 hilft Bullinger
nicht aus der Klemme. Er sollte lieber darauf achten, dass die von ihm verwendeten Argumente
seiner Lehre nicht schaden! Es ist nicht haltbar, wenn Bullinger aus [Paulus']Aufforderung,
seinen Glauben vor einer Teilnahme am Abendmahl zu überprüfen, 29 schlussfolgert,
dass Christus im Abendmahl nichts darbietet. Das würde nur zutreffen, wenn der Beteiligte am
Abendmahl schon den ganzen Christus in sich besäße. Das Abendmahl dient also dazu, Christus
vollständiger zu genießen. Calvin ist daher überrascht, dass Bullinger eine Vervollständigung
des Dargebotenen ausschließt! Das von Bullinger angeführte Beispiel Abrahams, den
Gott rechtfertigte, ehe er beschnitten wurde, 30 ist nicht zutreffend. Denn wenn Paulus in diesem
Zusammenhang schreibt, dass Abrahams Rechtfertigung durch die Beschneidung besiegelt
wurde, 31 gibt er ja zu verstehen, dass es in Abrahams Rechtfertigungserfahrung eine Progression
gab. Das Zeichen erlaubte Abraham, noch mehr von der [ihm von Gott dargebotenen]
Rechtfertigung zu genießen; dies natürlich nur, weil er glaubte. —[13] [Calvin und die
Gleichgesinnten] denken wie Bullinger, dass die Sakramente Instrumente (instrumenta) sind.
Bullinger bestreitet allerdings, dass Gott, als allein Darbietender, dennoch etwas durch die
Zeichen und durch seine Diener (ministri) darbietet. Deshalb glaubt sich Bullinger berechtigt,
[Calvin und die Gleichgesinnten] nicht nur zu ermahnen, sondern auch hart anzugreifen.
Dabei macht er nicht nur Calvin schlecht (der mit gutem Gewissen nicht anderes lehren
könnte), sondern auch alle, die seine Auffassung teilen! Er unterstellt ihnen, eine Tyrannei [in
der Kirche errichten] zu wollen. 32 Indem Bullinger sie auf die Schrift verweist, erweckt er
überdies den Eindruck, dass sie falsch lehrten. Aus der Schrift geht jedoch hervor, dass die
Diener Gottes Menschen erneuern, 33 deren Herzen zu Gott ziehen 34 und deren Sünden vergeben
können. 35 Bullinger mag diese Texte hundertmal hin und her deuten: Er wird nicht
daran vorbeikommen, dass Gott, der Ursprung aller Dinge, durch seine Diener wie durch
Instrumente wirkt! Warum würde man sonst die Kirche Mutter aller Frommen nennen? 36 Nicht
den Heiligen Geist, ehe sie getauft
wurden.
etwa deshalb, weil Gott die Menschen durch den von der Kirche geleisteten Dienst erneuert?
Oder will Bullinger etwa Paulus der Tyrannei bezichtigen, weil dieser bekanntgab, dass durch
seine Handauflegung dem Timotheus eine Gnade verliehen wurde ? 37 Was Calvin den Berner
Pfarrern vor kurzem sagte, will er hier wiederholen: Der Geist macht zweierlei Aussagen über
Gottes Diener. Er betont zum einen, dass sie aus sich selbst nichts können. So liest man:
"Darum zählt weder der, der pflanzt, noch ...", 38 usw. In sich selbst sind also Gottes Diener
nichts. Zum anderen aber rechnet ihnen der Geist seine Wirksamkeit (efficacia) zu, sodass
ihnen dadurch großes Lob zuteil wird (was ihnen allerdings nicht zu Kopf steigen darf). So
unterscheidet Paulus in 2Kor 3, [1f], nicht zwischen seinem Wirken und dem des Heiligen
Geistes. Doch gleich darauf macht er das zuvor angeführte Geständnis: "Darum zählt weder
...". Bullinger schreibt: Gott benutzte (atari) Petrus, um Cornelius zu bekehren. Also brauchte
Gott (Dei opus fuisse) die Leistung des Petrus. Was Bullinger hier im Zusammenhang mit
Cornelius' Bekehrung anerkennt, weitet Calvin aus. Warum sich eigentlich noch zanken?
—[14][In summa:] Wenn man glaubt, dass Gott in den Sakramenten seine Gnade darbietet, ist
man deshalb noch kein Pharisäer, der auf seine Leistungen vertraut, zumal die Sakramente
keine menschlichen Werke sind! Viel zu oft zieht Bullinger derartige unlogische Schlüsse. So
auch, wenn er behauptet, dass in den Sakramenten die Gnade und der Glaube nicht dargeboten
werden, weil Gott dies durch seinen Geist in unserem Herzen bewirkt. Entspringen denn
der Glaube (Röm 10, [14f]) und der Heilige Geist (Gai [3, 5]) nicht aus der Predigt des
Evangeliums? Und ist Gottes Wort, das zum Glauben führt, nicht in den Sakramenten einge-meißelt?
Demzufolge ist es doch nicht falsch, wenn man behauptet, dass Gott durch die
Sakramente das bewirkt, was er durch den Glauben und den Geist bewirkt, oder dass die
Sakramente, genauso wie der Heilige Geist, 39 Siegel unseres geistigen Vermächtnisses sind.
Dies gilt auch in Hinsicht auf die Kirche [und ihre Diener]. Bullingers Fehler liegt darin, dass
er das Untergeordnete [das Sakrament oder Gottes Diener] dem Übergeordneten [dem Glauben
bzw. dem Geist] entgegensetzt. Wenn einer bestreiten würde, dass der Mensch sich durch
die Arbeit seiner Hände ernährt, weil dieser im Grunde genommen durch Gottes Segen ernährt
wird, würde man ihm erwidern, dass die beiden Aussagen sich nicht ausschließen. Wichtig ist,
dass Gottes Segen dem Vorrang gegeben wird und die Arbeit der Hände als Mittel betrachtet
wird. Jedes Mal also, wenn Bullinger den Geist erwähnt, antwortet ihm Calvin im Einklang
mit der Schrift, dass dies nicht ausschließt, dass die Sakramente Instrumente des Geistes sind,
die selbstverständlich nur wirksam sind, weil Letzterer sie belebt. Am Schluss des Kapitels
[11] argumentiert Bullinger, dass, wenn Christus sich tatsächlich dem Menschen im Sakrament
darbieten würde, es zwischen Christus und dem Menschen vor dessen Beteiligung am
Sakrament zu keiner Beziehung (communicatio) kommen könnte! Erneut muss Calvin sagen,
dass diese Argumentation falsch ist. Dazu kommt noch, dass Christus sich nicht schon beim
ersten Mal dem Menschen völlig offenbart. Christi Offenbarung im Menschen, in dem Christus
bereits durch den Glauben lebt, entwickelt sich parallel zu dessen Glauben. So stellen die
Sakramente Treppen dar, dank denen der Glaube befördert wird. Bullinger will nicht wahrhaben,
dass Christus seinen Jüngern angeordnet hat, seinen Leib zu essen (edere), als er ihnen
befahl, vom Brot zu essen. Doch irrt er dabei, weil sonst das Essen im Abendmahl eine reine
Komödie (histrionica actio) wäre. Natürlich liegt hier eine Redewendung vor, jedoch eine
solche, in der die darin enthaltene innere Wahrheit keineswegs durch das sichtbare Zeichen
vernichtet wird. In dieser Redewendung deutet das äußere Zeichen vielmehr darauf hin, dass
die Aussage Christi zutrifft; dass also die Seele von Christi Fleisch (caro) gespeist wird
(vescari) wie unser Leib durch das Brot. — [15] Dies sind die Korrekturen, die angebracht
werden müssten, damit Calvin Bullingers Abhandlung völlig zustimmen kann. Die lobenswerten
Aspekte der Schrift hat er hier nicht angeführt, da Bullinger ihn gebeten hatte, die Mängel
mitzuteilen. Da er sich nun wie ein Freund dieser Aufgabe entledigt hat, hofft er, dass Bullinger
keinen Anstoß an seiner Offenheit und Aufrichtigkeit nehmen wird. —[16] In Bern traf er
einen sehr unerfreulichen Zustand an, auf den Bullinger nicht gefasst gewesen wäre (er aber
schon). Er konnte also Bullingers Rat nicht befolgen (er hätte es sonst getan, auch wenn ihm
dieser Rat nicht gefiel, zumal er der Meinung ist, dass derartige Wunden nicht durch Vertuschung
-tegendo - ausheilen können). Bullinger wird wissen wollen, was er also tat? Die
Antwort lautet: Nichts! Er konnte sich nur die hitzigen Beschwerden beider Parteien anhören.
Dies ist der Friede, von dem Bullinger durch seine Freunde erfahren hat! Der Herr erbarme
sich dieser Kirche, die sehr zu bedauern ist, solange ihre Pfarrer sich derart zanken.
—[17]Gruß. Beim Lesen vorliegenden Briefes soll Bullinger sich stets
an Augustins Aussage
erinnern, der bemerkt hat, dass die Sakramente von Menschen ausgeführt werden, allerdings
Göttliches ausrichten, auch wenn sich auf Erden Menschliches [wie Essen und Trinken] abspielt.
40 Calvin und seine Kollegen grüßen ebenfalls Bullingers Amtsbrüder, besonders Konrad
Pellikan, Theodor Bibliander, Rudolf Gwalther und Johannes [Wolf]41 . Der Herr leite die
Zürcher und segne ihre Arbeit!